"Man schminkt sich sprachlich als Türke" - und lacht

Frau mit Kopftuch in Berlin
Frau mit Kopftuch in Berlin(c) APA/dpa (Britta Pedersen)
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Streit in Deutschland: Sind die Kritiker des Kiezdeutsch rassistisch - oder deren Befürworter? Und ist der Migrantenjargon ein Dialekt?

Früher hat man von Türkendeutsch gesprochen, wenn es um den neuen Jargon deutsch-türkischer Migranten ging. Dann wurde die Kanak Sprak beliebt: als Schimpfwort, vom Kanaken abgeleitet; aber auch, ins Positive gewendet, als Provokation. Der Provokateur hieß Feridun Zaimoglu, sein Buch „Kanak Sprak“ beschrieb vor zwanzig Jahren die Welt jugendlicher Migranten, in der er sich bewegte. Zaimoglu ist ein Sprachkünstler, er spielte kreativ mit der Kanak Sprak und wertete sie auf. Er wollte demonstrieren: Dieser Jargon ist nicht Verhunzung, sondern eine legitime, kreative Redeweise.

Dasselbe behauptet seit ein paar Jahren die deutsche Germanistin Heike Wiese. Wenn die Jugendlichen „Ich mach dich Messer“, „Machst du rote Ampel?“ oder „Ich geh Schule“ sage, sei das eine gleichberechtigte deutsche Sprachvariante, schrieb sie vor drei Jahren im Buch „Kiezdeutsch“. Zwar gebe es darin viele Vereinfachungen (wie das Weglassen von Artikeln oder Präpositionen), aber auch Komplexes und Kreatives. Als Beispiel führt sie etwa die spielerische Wiederholung eines Wortes mit einem „m“ davor an („Ich bring Colamola“), die aus dem Türkischen komme. Auch immer mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund sprechen so, sagt Wiese, woraus sie die These ableitet: Kiezdeutsch sei kein „Ethnolekt“. Es sei ein „ganz normaler“ neuer deutscher Dialekt wie das Bayerische oder das Hessische, nur mit vielen Wortimporten, also ein Beispiel für gelungene Integration.

Der Streit um diese These ist nicht neu, aber neu aufgeflammt. Nachdem sich die Forscherin im Interview mit der „FAZ“ (29.6.) über „rassistische Anfeindungen“ beklagt hat („Sprache ist wohl einer der wenigen Bereiche, in denen man noch offen rassistisch sein kann“), kontert nun Matthias Heine in der „Welt“ (1.7.): „In Wirklichkeit ist Kiezdeutsch rassistisch.“ Der wahre Rassismus bestehe darin, „Jugendlichen mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund die Fähigkeit abzusprechen, korrektes Standarddeutsch zu lernen“.

Genau diese Unfähigkeit bestreitet Heike Wiese zwar – ihr zufolge können die meisten Kiezdeutsch-Sprecher problemlos zum Hochdeutsch wechseln –, allerdings hat sie ihre Beobachtung nicht mit Zahlen belegt. Dabei ist das ein entscheidender Punkt: Können die Jugendlichen in ein anderes Sprachregister wechseln und Standarddeutsch sprechen (und schreiben), wenn die Situation das erfordert? Viele Kritiker bestreiten das.

Dass mittlerweile auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund das Kiezdeutsch übernehmen, ist etwa für den Germanisten Helmut Glück nicht repräsentativ: „Viele Jugendliche sprechen Kanak-Sprak, um cool zu sein, wissen aber genau, dass es eine Sondersprache ist, und können zwischen Slang und Hochdeutsch wechseln“, sagt er, aber die meisten Kiezdeutsch-Sprecher könnten das nicht. Für Matthias Heine teilen sich die Kiezdeutsch-Sprecher ohne Migrationshintergrund in zwei Gruppen: „Einerseits gibt es Deutsche aus bildungsfernen Schichten, die sich sprachlich angepasst haben und tatsächlich gar nicht anders reden können.“ Und dann gebe es die, die sozusagen Turkfacing betreiben: „Man schminkt sich sprachlich als Türke, um unter den biodeutschen Freunden ein paar leichte Humorpunkte zu machen.“

Ist Kiezdeutsch ein Dialekt? Nein, sagt Germanist Helmut Glück. „Weil ein Dialekt immer eine Redeweise ist, die für eine bestimmte Region charakteristisch ist und zudem eine historische Tiefe hat.“ Er vergleicht es eher mit ebenfalls sehr schnell entstandenen „Soziolekten“ wie dem Ruhrgebietsdeutsch, das durch massenhafte Zuwanderung polnischer Einwanderer entstanden ist. Wiese nenne das Kiezdeutsch einen Turbodialekt, um „am Prestige des Dialekts zu partizipieren“, kritisiert er. Sie wolle schlechtes Deutsch salonfähig machen: „Unsere Hoch- und Standardsprache ist ein Wert, der in Jahrhunderten entstanden ist und den man nicht einfach zur Disposition stellen kann.“

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2014)

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