Nahost: Von Frankl und Watzlawick lernen, Frieden lernen?

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Israelische Psychologen schlagen zur Entspannung des Palästina-Konflikts die Psychotechnik der paradoxen Intervention vor.

Kann man ganze Völkerschaften, die sich über Jahrzehnte in Psychofallen verfangen haben, irgendwie befreien, kann man es vielleicht so tun, wie es Viktor Frankl und Paul Watzlawick in Anlehnung an die traditionelle Weisheit der Rabbis bei Individuen gelungen ist? Da wurde etwa einem Patienten mit Waschzwang empfohlen, sich doppelt so oft die Hände zu waschen, und ein Stotterer sollte unentwegt drauflosstottern, beide wurden geheilt, andere auch.

Das Verfahren heißt „paradoxe Intervention“ – es geht darum, ein Denken und/oder Verhalten nicht schlechtmachen und wegreden zu wollen, sondern ganz im Gegenteil, es auf seine absurde Spitze zu treiben, um es zu brechen –, und eine Gruppe israelischer Sozialforscher hat es nun dort getestet, wo es um mehr geht als um Händewaschen und Stottern: am schier ausweglos verhärteten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, über 60 Jahre dauert er schon – damals kamen die ersten UNO-Resolutionen zur Causa –, inzwischen ist die dritte Generation darin verfangen.
Befreiungsschläge versuchen Friedensaktivisten seit einiger Zeit mit „Interventionen“: Die sollen die Tunnelblicke, die an der eigenen Position nur Gutes sehen und an der anderen nur Böses, dadurch öffnen, dass sie etwa Information zur Verfügung stellen oder Begegnungen mit der Gegenseite arrangieren. Sehr wirksam ist das nicht, der erwünschte Effekt ist allenfalls kurz, oft verhärten die Interventionen gar die Sichtweise: Die eigene Position darf nicht erodieren, die Angst davor – vor dem Verlust.

Deshalb hat eine US-Friedens-NGO (The Fund for Recognition, Tolerance and Peace) israelische Psychologen um Eran Halperin (Jerusalem) gebeten, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Und die Forscher haben im Anschluss an Frankl und Watzlawick Strategien der paradoxen Intervention erdacht, in denen politische Überzeugungen von Hardlinern eben nicht durch Gegeninformation aufgeweicht werden sollen, sondern aufgenommen und so überhöht werden, dass auch der Verhärtetste lachen muss. Dass Derartiges selbst bei tief sitzenden Vorurteilen aus einem „closed mind“ befreien kann, hat eine frühere Studie in den USA gezeigt, bei der es um Menschen ging, die höchst konservative Vorstellungen von der Rolle der Frauen haben. Sie wurden etwa Folgendes gefragt: „Warum sympathisieren Sie mit Männern, die glauben, Frauen sollten immer barfuß gehen und schwanger sein?“

Das wirkte, ein Stück weit. Kann es auch bei politischen Verhärtungen Entspannung bringen? Die Gruppe um Halperin ließ von Werbeagenturen Videoclips drehen, die den Wahlvideos weit rechts stehender Parteien in Israel ähnelten, die Forscher trugen bei der Betonung der militärischen und moralischen Überlegenheit nur noch dicker auf: „Wir brauchen den Konflikt, damit wir die stärkste Armee der Welt haben!“ Das war eine der Botschaften, eine andere zeigte und lobte Wohltaten dieser Armee: In diesem Video helfen israelische Soldaten palästinensischen Zivilisten bei irgendetwas, Louis Armstrong untermalt das im Hintergrund mit „What A Wonderful World“, und am Ende resümiert ein Sprecher: „Um uns tugendhaft fühlen zu können, brauchen wir den Krieg!“

Solche Videos bekam die Hälfte der Testpersonen – allesamt israelische Juden, mit unterschiedlichster politischer Überzeugung – zu sehen, den anderen wurden zur Kontrolle Videos mit Tourismuswerbung für Israel vorgeführt. Der Trick wirkte, vor allem bei Gefolgsleuten rechter Parteien, sie überdachten ihre Positionen, wurden milder in der Zuweisung aller Schuld an die Palästinenser, entwickelten Kompromissbereitschaft (Pnas, 14. 7.).
Der Effekt hielt, das zeigten Befragungen ein Jahr nach dem Test, und der Effekt hatte Konsequenzen: Das Experiment lief während des Wahlkampfs 2013, und politisch rechts stehende Teilnehmer gaben an, das Experiment habe sie ihr Kreuz etwas näher zur Mitte setzen lassen.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.07.2014)

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