Worüber man im Amerika des Barack Obama nicht spricht

Amerika feiert seine Fortschritte im Kampf gegen Sklaverei und Rassenhass. Ein Plädoyer für Entschädigungen legt die Scheinheiligkeit offen.

Die vergangenen zwölf Monate boten den US-Amerikanern zahlreiche Anlässe, sich ihrer Errungenschaften im Kampf gegen das Erbe der Sklaverei zu vergewissern. Dem Jahrestag des Bürgerrechtsmarsches nach Washington am 28. August 1963 wurden ebenso große Staatsakte gewidmet wie dem Inkrafttreten des Civil Rights Acts am 2. Juli 1964. 50 Jahre war es im Juni her, dass der Oberste Gerichtshof die Rassentrennung in den öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärte. All dessen gedachten die Vereinigten Staaten, in deren von Sklaven erbautem Weißem Haus der erste schwarze Präsident im fünften Jahr regiert.

Über eine Sache allerdings spricht man bei all den Galas und Podiumsdiskussionen nicht: Entschädigungen für die 250 Jahre, in denen die Schwarzen versklavt und ausgebeutet wurden – und für die bis heute andauernden Folgen dieser kollektiven Erniedrigung einer ganzen Gesellschaftsgruppe. Das ärgert Ta-Nehisi Coates, einen der interessantesten schwarzen Feuilletonisten Amerikas, sehr. So sehr, dass er in der Juni-Ausgabe des Magazins „The Atlantic Monthly“ in einem 15-seitigen Essay argumentierte, weshalb die USA sich ernsthaft mit der Frage von Entschädigungen für die Schwarzen befassen sollten. – Gewiss, schreibt Coates: Amerikas Schwarzen geht es heute viel besser als vor 50 Jahren. Dennoch habe sich die Einkommenskluft zwischen Weißen und Schwarzen seit 1970 kaum verringert. Weiße Haushalte haben laut dem Pew Research Center im statistischen Mittel 20 Mal so viel Vermögen wie schwarze.

Allerdings geht es Coates nicht in erster Linie darum, eine Geldsumme zu errechnen. Das wäre angesichts des feindseligen politischen Klimas, welches den Kongress lähmt, ohnehin unmöglich: „Reparationen – damit meine ich die volle Akzeptanz unserer kollektiven Biografie und deren Folgen – ist der Preis, den wir zahlen müssen, um uns selber im rechten Licht zu sehen.“ Er fordert eine „Revolution des amerikanischen Bewusstseins, eine Versöhnung unseres Selbstbildes als der große Demokratisierer mit den Tatsachen unserer Geschichte“.

Ein hehrer Wunsch? Möglich, denn paradoxerweise ist Präsident Obama peinlich darum bemüht, nur ja nicht den Anschein zu erwecken, sich besonders für Schwarze einzusetzen. Dennoch findet Coates zumindest außerhalb der politischen Arena Unterstützer: „Die finsteren Realitäten der Sklaverei und Rassentrennung stapeln sich so lange aufeinander, dass etwas, das unvernünftig scheint – die Zahlung großer Summen für vergangenes Unrecht – überlegenswert zu klingen beginnt“, schreibt David Carr von der „New York Times“.

E-Mails an:oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2014)

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