Der Superstar unter den Kleinbären heißt Rocket Raccoon

Waschbären sind seit 80 Jahren auch in Europa heimisch. Diese Nordamerikaner haben sich sogar an die modernen Städte angepasst.

Die Zuseher in den USA und Kanada sind von „Guardians of the Galaxy“ begeistert. Seit fünf Wochen hält der Science-Fiction-Blockbuster den ersten Platz an den Kinokassen Nordamerikas, meldet das Fachblatt „The Hollywood Reporter“.

Am Erfolg dieser Verfilmung einschlägiger Marvel-Comics hat auch ein tierischer Superheld wesentlichen Anteil: Rocket „Rocky“ Raccoon ist ein gemeiner Waschbär, ein strategisch denkender Scharfschütze mit Neigung zu Neurosen. Seit 1976 unterhält dieses abgefeimte anthropomorphe Wesen die Leser in unseren Zonen des Weltraums. Seine Schöpfer dürften sich die Idee von den Beatles geborgt haben. Die sangen schon im psychedelischen Wendejahr 1968 die volksmusikalische Ballade von „Rocky Raccoon“, über einen Cowboy aus den Schwarzen Bergen Dakotas. „Danny boy, this is a showdown!“, sagt er zum Nebenbuhler – der leider schneller ist.

Als Superheld aber pilotiert Rocket Raccoon später ein Raumschiff. Seine Vorzüge sind die echter Waschbären: Er ist extrem schnell und hat enorm scharfe Sinne. Die größten aller Kleinbären sind wegen ihres putzigen Aussehens beliebt. Auch Rocket verzeiht man deshalb seine Brutalität und seinen Zynismus. In jedem Waschbären steckt ein anarchischer Typ.

Procyon lotor war ursprünglich in Nordamerika beheimatet. Die Indianer nannten ihn „Der mit seinen Händen reibt“. Er hat sich inzwischen erfolgreich bis in weite Gebiete Europas durchgeschlagen. Raccoon ist ein Neozoon, ein Immigrant, der sich seit seiner Einbürgerung vor achtzig Jahren so erfolgreich angepasst hat, dass er inzwischen als heimisches Tier gilt. Begonnen hat es wahrscheinlich damit, dass am Edersse in Hessen zwei Pärchen ausgesetzt wurden. Sie waren fruchtbar und mehrten sich in optimierter Umgebung. Eine andere Geschichte, aus dem Osten, handelt davon, dass in Brandenburg Dutzende Tiere nach einem Bombentreffer 1945 aus einem Gehege türmten. Ihre Saga in Europa ist jedenfalls heroisch.

Der Waschbär ist ein Allesfresser, der in der Dämmerung und in der Nacht zur Nahrungssuche aufbricht. Sein schwarzes Gesicht, das wie eine Maske aussieht, passt zu seinem Stil – er ist ein meisterhafter Einbrecher. Inzwischen hat es sich diese Art auch in vielen Städten eingerichtet. Kein Mülleimer, keine Speisekammer, kein Dachboden ist vor Waschbären sicher. Nicht verbürgt sind dagegen Erzählungen von Jägern, dass diese Räuber im Rudel Rehe jagen. Allerdings sollte man ihnen mit Respekt begegnen.

Wer also in seinem Keller oder der finnischen Sauna überraschend auf Captain Raccoon trifft, sage auf keinen Fall: „Jessas, ein Hamster!“ Lieber summe man einen Song der Beatles und versichere dabei: „Rocky boy, this is not a showdown!“ Dann hat man noch intakte Chancen, dieses Abenteuer unverletzt zu überstehen.

E-Mails an:norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2014)

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