Zigarren rauchen bei Freud oder auspeitschen bei Jung

An welche Schule der Analyse soll man sich wenden, wenn die Midlife-Crisis zu Ende geht? Vielleicht genügt sogar ein Töpferkurs in Stoob.

Neulich machte der Esoterikklub des „Gegengiftes“ einen Betriebsausflug in das Theater in der Josefstadt. Es gab einen durchaus vergnüglichen wiewohl belehrenden Abend bei einem Stück über die Probejahre der Psychoanalyse in Zürich und Wien. Ganz unbelastet konnte ich die Aufführung jedoch nicht genießen. Mir wurde schmerzlich klar, dass ich zwar längst jenen Lebensabschnitt zu verlassen beginne, den man die Midlife-Crisis nennt und in dem die wirklich Guten längst tot sind, dass ich aber noch nie auch nur in Gedanken bei einer Seelenärztin auf der Couch gelegen bin, während inzwischen alle meine amerikanischen Freunde spätestens nach jeder erneuten Scheidung bei einem neuen modischen „shrink“ waren. Jetzt könnte ich wie einst Woody Allen kalauern: „Ohne Leid kein Freud.“ Aber ich wüsste nicht einmal, an welche Schule ich mich wenden sollte, falls bei mir einmal die Angst vor Kontrollverlust nach dem Tod dramatisch zunähme.

Gibt es überhaupt seriöse Kassenärzte, die vorher sondieren, ob man vom Charakter her eher zu Adler, Freud, Jung, Lacan oder gar Reich tendiert? Und darf man bei Freudianern tatsächlich Zigarre rauchend aus seinen Träumen erzählen? Dann würde ich diese Behandlung dem peitschenden Jung (ehrlich: So war das diesmal in der entblößten Josefstadt) vorziehen. Auch die Maschinen, an denen Klaus Maria Brandauer als Protagonist im Film „Der Fall Wilhelm Reich“ gebastelt hat, erscheinen mir, ehrlich gesagt, zu extrem experimentell. Vielleicht genügt ja für mich doch ein simpler Töpferkurs im burgenländischen Stoob oder irgendetwas Ostasiatisches, bei dem man turnt und sich mit teuren Ölen einschmiert.

Mein Abwehrmechanismus gegen solche Aussprachen hat auch einen tieferen Grund. Wie, fragte ich einen Experten, der es aus jahrelanger Praxis wissen muss, unterscheidet man eigentlich in Heilanstalten für die Seele zwischen den behandelten Kranken und dem behandelnden Personal? Man tue gut daran, erwiderte dieser, einen weißen Mantel zu tragen. Die Erfahrung zeige, dass die bei Differenzen, ja körperlichen Auseinandersetzungen zu Hilfe gerufenen Wärter unter den Tobenden nur nach jenen griffen, sie sicherten und dann verwahrten, die keine weiße Mäntel trügen. Dieses Ordnungsprinzip habe sich bewährt. Ohne Mantel bleibt man drin.

Ganz anders liegt der Fall allerdings heraußen, in der Wildnis der freien Wirtschaft und im Dickicht der Bürokratie. Man weiß von der Statistik, dass sich gerade unter Führungskräften, bei den CEOs und weit oben in der Hierarchie von Behörden, ein Vielfaches an Psychopathen tummelt. Sie müssen nicht unbedingt Peitschen schwingen oder Zigarren rauchen. Meist leben sie ihre Veranlagung unauffällig aus. Sie haben auch gar kein Bedürfnis nach Therapie. Nein, solche Typen sind die Krankheit, für deren Heilung sie sich halten.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2014)

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