Lügenpresse? Beistand von ungewohnter Seite

Die Darmstädter Jury springt den Medien bei und hat „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres gekürt.

Die Medien. „Man“ mag sie nicht. Das heißt eigentlich: Man mag bestimmte Medien nicht – und verallgemeinert dann. Das reicht von rechts (Pegida) bis links, wenn die Obdachlosenzeitung „Augustin“ etwa von „geifernden Schreibtischhunden“ schreibt und von einer „Journalistenmafia“, die sich gegen Bettler verschworen hätte. Ohne eine einzige Zeitung oder Sendung beim Namen zu nennen.

Medien haben Macht. Und es gehört zu den Aufgaben des Citoyens, auch diese „vierte Macht“ zu kritisieren. Wie das geht, zeigen Seiten wie „Kobuk“, die journalistische und redaktionelle Fehlleistungen zum Gaudium von Konkurrenz und Publikum ins Netz stellen, und auch jene Darmstädter Jurymitglieder, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, jeden Jänner das „Unwort des Jahres“ zu küren – und dabei immer wieder bei Medien fündig werden. Deutsche Redaktionen wurden vergangenes Jahr etwa für die Verwendung des Begriffs „Sozialtourismus“ gerügt, im Jahr davor wurden die „Döner-Morde“ kritisiert. Doch heuer springt die Jury den Medien bei. Sie kürten den Pegida-Schlachtruf „Lügenpresse“ zum Unwort des Jahres.

Die „Lügenpresse“ unterscheidet sich in noch einem Punkt von den meisten Unwörtern. Es ist keine Neuschöpfung wie die „Ich-AG“ oder das „Opfer-Abo“, „betriebsratsverseucht“ oder „Herdprämie“, sondern es hat schon im Ersten Weltkrieg als Kampfbegriff gedient und wurde später von den Nationalsozialisten verwendet, um die freie Presse zu denunzieren. In der „Presse am Sonntag“ vom 4.Jänner erschien eine kundige Begriffsgeschichte von Günther Haller: „Lügenpresse!“ – Ein neuer alter Kampfruf. Das Ergebnis waren hunderte oft ausfällige Postings, deren Schreiber sich meist nicht einmal die Mühe machten zu erklären, was ihnen so missfiel. Es wurden keine Sachverhalte widerlegt, es wurden keine Einwände gebracht: Es wurde Stimmung gemacht.

Das meint wohl die Darmstädter Jury, wenn sie ihren ungewohnten Beistand damit erklärt, dass der Begriff „Lügenpresse“ Medien pauschal diffamiere. Er gefährde, so die Begründung weiter, dadurch die Pressefreiheit und verhindere fundierte Medienkritik. Das heißt: Kritik an fehlender Trennung von Bericht und Kommentar und von Anzeige und Redaktion. Kritik an schlampiger Arbeit, an mangelnder Recherche, an unbedachter Wortwahl, an tendenziöser Berichterstattung.

Diese Kritik ist wichtig, weil alle Medien Fehler machen, manche mehr, manche weniger, was aber nicht bedeutet, dass sie sich zusammengetan hätten, die Welt zu belügen: Letztlich leben Zeitungen nämlich nicht von Verschwörungen. Sie leben auch nicht davon, gleichgeschaltet zu sein. Sie leben von der besseren Geschichte.

E-Mails an: bettina.steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.