Ein Grieche warnt vor Pleonexie, ein anderer greift zum Bogen

Welche Wirtschafts- und Gesellschaftstheorien aus Hellas sollte man ernst nehmen? Man kann auf Platon vertrauen – oder auf Odysseus setzen.

Der neue griechische Finanzminister hatte am Freitag erneut interessante Gespräche mit seinen Kollegen aus der Euro-Gruppe in Brüssel. An solch zwanghafte Treffen kann man juristisch oder gar mit ökonomischem Verstand herangehen, aber unter Umständen ist derartige Engführung in der akuten Situation gar nicht zielführend. Deshalb wollen wir uns im Unbeständigen Rat des „Gegengiftes“dem Thema Schuld(en) philosophisch bis mythologisch nähern. Immerhin hat auch Yanis Varoufakis unlängst in einem Fachbuch seine Kritik am späten Kapitalismus unter dem knalligen Titel „Der globale Minotaurus“ verkauft. Bleiben wir human-bovin: Was sagt denn das antike Hellas über die Natur der Wirtschaft?

Wir lassen uns nur von den Besten beraten. Platon träumt in der „Politeia“ eingangs von einer heilen Welt ohne Konflikte und Konkurrenzdruck: Es wird gerecht getauscht, eines jeden Bedürfnisse werden befriedigt, ein jeder arbeitet auch nach seinen Möglichkeiten. Da aber dieser Philosoph kein Narr, sondern ein Athener ist, weiß er vom Weltfremden in seiner Utopie. Er rechnet mit unserer Gier, selbst brave Bürger wollen immer mehr. Und schon haben die Griechen ein passendes Wort dafür gefunden: Pleonexie. In der „Nikomachischen Ethik“ nennt Aristoteles dieses Mehr-Haben oder auch nur Mehr-haben-Wollen eine wesentliche Wurzel der Ungerechtigkeit.

An dem Übel ist für ideale, freie Denker jedoch nicht Privatvermögen schuld, sondern menschliche Schwäche an sich. Jeden kann der Egoismus packen. Wie schafft man es dann, dass nicht Eigennutz, kleinliches Klandenken und mieser Nepotismus den Staat schädigen? Platon schlägt vor, dass die herrschende Klasse weder Privatbesitz noch Familie haben dürfe.

Das wäre einmal ein paradoxer Vorschlag für die EU: Minister, die auf Privilegien verzichten, damit es der Gemeinschaft wohl ergehe auf Erden. Aber wirklich durchgesetzt hat sich asketische Philosophenherrschaft eher selten, viel häufiger ist die Plutokratie.

Deshalb wird der Sagenkreis des „Gegengiftes“ sich demnächst mit dem herrlichen Dulder Odysseus beschäftigen, der in der Praxis, im Handeln also, modernen Griechen nähersteht als die tollen Autoren von „Politeia“ und „Politika“. Laut Homer lernte der Listenreiche auf Irrfahrten quer durch Europa Nützliches. Dunkel erinnern wir uns, dass er stets Kompetenz bewiesen hat, wenn es um fixe Lösungen für Eigentumsfragen ging – vor Troja, unterwegs und schließlich auch in Ithaka.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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