Die richtige Richtung? Richtungslosigkeit

Der Hamburger Bach-Preis geht an den 90-jährigen Pierre Boulez. Das bringt Musikfreunde zum Nachdenken.

Pierre Boulez, demnächst 90, ist Träger des Hamburger Bach-Preises. Der wurde 1950 aus Anlass des 200. Todestages des Thomaskantors Johann Sebastian Bach gestiftet und geht laut Satzung an Komponisten, „deren Werk dem hohen Anspruch, den der Namensgeber setzt, gerecht werden“.

Witzbolde könnten nun einwenden, die Hamburger müssten schon ein wohl gefülltes Konto haben, denn diesen Preis dürfte eigentlich niemand guten Gewissens entgegennehmen.

In Hamburg kürte man bis dato unter anderem Paul Hindemith (1951), Ernst Krenek (1966), György Ligeti (1975), Alfred Schnittke (1992) und Sofia Gubaidulina (2007). Das ist über die Jahrzehnte hin doch ein bemerkenswerter Querschnitt durch die jüngere Musikgeschichte, die so engstirnig, wie manche sie gern gehabt hätten, nicht war.

Boulez war auch nie zimperlich bei ästhetischen Grundsatzfragen. Als Vordenker der legendären Ferienkurse von Darmstadt hat er Seite an Seite mit Karlheinz Stockhausen mitbestimmt, was ein Komponist nach 1945 durfte – und was „verboten“ war.

Hindemith war zum Beispiel verboten. So weit waren sich Boulez und der Alban-Berg-Schüler Theodor W. Adorno, der lange Zeit die päpstliche Boulez-Position im deutschen Sprachraum innehatte, einig. Doch hat gerade Boulez schon Anfang der Fünfzigerjahre viele musikologische Anmerkungen gemacht, die Musikfreunde verstören mussten, die ihn taxfrei der Schönberg-Fraktion unter den schöpferischen Kräften zuordnen wollten, die im Gefolge der Zwölftonmethode sämtliche Parameter der Musik für berechenbar erklärte.

Boulez hielt vielmehr Strawinsky, den Adorno wütend bekämpfte, für sakrosankt und kritisierte Schönbergs Ästhetik profund. Damit war die Rheingrenze musikalisch wieder zementiert. Im folgenden „Kalten Krieg nach Noten“ dominierte der Adornismus im deutschen Sprachraum.

Erst das Heraufdämmern der Postmoderne ließ das Leben für die jüngeren Kräfte leichter werden. Man ging (apropos Gubaidulina oder Schnittke), wie Richard Strauss das in Sachen Wagner formuliert hat, um den Berg herum, statt ihn mühevoll zu besteigen. Manches Theorem entpuppte sich dann als Luftblase . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2015)

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