Liebe Griechen! Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist

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Ein Ordnungsruf schallt aus Athen: Die Politiker sollten aufhören, einander zu beschimpfen. Ein wahrlich gutes Wort, gelassen ausgesprochen.

Wenn feine Wiener zum Ausdruck bringen wollen, dass sie eine respektlose Person für eine Pein in niedrigeren Körperregionen halten, dann sagen sie sanft und ganz allgemein: „Es gibt Leute, die können ein Lamperl wild machen.“

Wolfgang Schäuble ist beileibe kein minderjähriges Schaf, aber was ausgerechnet der griechische Finanzminister, Yanis Varoufakis, eben zum Besten gegeben hat, könnte zu erhöhtem Blutdruck bei seinem Kollegen in Berlin geführt haben. Der Neo-Politiker aus Athen, der den Deutschen 2013 bei einem Subversiven-Festival in Zagreb, also noch als aktiver Professor für Ökonomie, zwar nicht die ganze Hand, aber zumindest den linken Mittelfinger freigiebig zum intimen Gebrauch angeboten hat, fordert nun mehr Höflichkeit. Deutsche und griechische Politiker sollten aufhören, einander zu beschimpfen, schrieb Varoufakis am Montag in einem Gastbeitrag der Tageszeitung „Handelsblatt“.

Das griechische Adjektiv für höflich heißt eugenikos – die Vorsilbe eu bedeutet immerhin gut. Woraus aber besteht Höflichkeit? Ist sie universell oder doch je nach Ethnie divers?

Bei schwindenden Völkern am Amazonas gilt es als höflich, einem Fremden zur Begrüßung ans Bein zu pinkeln. In manchen Kulturen ist es noch Brauch, bei Tisch zu rülpsen, um zu bekunden, dass einem das Essen geschmeckt hat. Aber seit Baldassare Castiglione vor 500 Jahren in „Il Libro del Cortegiano“ Umgangsformen für die oberen Zehntausend fixierte, gibt es zumindest hier in Europa gewisse Normen des Benehmens.

Bleiben wir bei der deutschen Version: Höflich bedeutet wohlerzogen, verbindlich, rücksichtsvoll oder zuvorkommend. Mittelhochdeutsch hovelich drückt es noch unverstellt aus: Höflich ist, wer sich hofgemäß benimmt, höfisch gar, als ob man zum Fürstenhof oder zum Hofstaat gehörte.

Auch das Englische courteous, das sich die wilden Angelsachsen nach ihrer normannischen Beglückung willig beim courtois der feineren Franzosen entlehnt haben, verweist auf den hohen Adel. Allerdings spürt man hier, dass höflich nicht unbedingt ehrlich bedeutet. Der courtisan ist ein Höfling, aber auch ein Speichellecker. Weiblich avanciert das Wort zur Edelhure: Die bessere Gesellschaft nennt sie Kurtisane. Der Unterschied zur gewöhnlichen Nutte liegt im Preis.

Wie taktvoll sollte also Europas Rest zu den neuen Griechen sein? Kann man ihr Zuvorkommen überhaupt in Milliarden messen? Sagen wir es bildungsbürgerlich durch die Blume, mit Goethes „Faust“, TeilII, zweiter Akt: Mephistopheles (gemütlich): Du weißt wohl nicht, mein Freund! wie grob du bist? / Baccalaureus: Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist. Vielleicht hat Minister Varoufakis auch nur wohlerzogen gemeint, ein bisschen Rücksichtnahme würde den Deutschen nicht schaden.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2015)

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