Gute Konzerte machen uns auch unbescheiden

Prägnante Artikulation ist nicht nur für Liedinterpreten und nicht nur bei Schubert das A und O der Musik.

Philippe Jordan hat seinen Schubert-Zyklus, den er sich als Chefdirigent der Wiener Symphoniker zum Einstand gewünscht hat, mit einer hinreißenden Wiedergabe der großen C-Dur-Symphonie gekrönt. Über diesen Komponisten heißt es gern, er hätte sich allen Aufgaben stets „vom Lied her“ genähert.

Nun weiß man ja, dass sich der Meister von „Erlkönig“, „Forelle“ und „Heidenröslein“ sein Lebtag den „Weg zur großen Symphonie bahnen“ wollte. Das Sehnsuchtsziel hat er mit zwei Sätzen der „Unvollendeten“ und eben der großen C-Dur-Symphonie ja auch wahrlich erreicht.

Aber: Ja, man kann auch die von Robert Schumann bewundernd so genannten „himmlischen Längen“ der letzten vollendeten Symphonie Schuberts „singen“. Und zwar so, wie das ein guter Liedinterpret mit der „Winterreise“ tut, nämlich „textdeutlich“, von der Sprache herkommend.

Diese Aufgabe muss auch für Instrumentalisten kein Paradoxon darstellen. Jordan lässt gleich die lange Introduktion zum ersten Satz frei über die Taktstriche hin strömen, ganz „melodisch“ empfunden also, doch inwendig kleinteilig artikuliert, beredt auch dank subtiler dynamischer Abstufungen. Musikalische Rhetorik, wie sie ein Orchester in der Regel nur nach intensiver Zusammenarbeit mit einem großen Gestalter realisiert.

Mit dieser Schubert-Aufführung demonstrierten die Symphoniker und ihr künstlerischer Leiter, wie weit über das Normalmaß guter Konzerte sie in ein paar Monaten vorgedrungen sind. Und, nebenbei bemerkt, wie dünn die Luft dann in solchen Regionen ist. Ein Konzert wie dieses werten aufmerksame Hörer als extreme Vorlage für alles, was da noch kommen könnte, als Zukunftsversprechen. In den erreichten Bezirken ist die Skala der möglichen interpretatorischen Verfeinerung „nach oben hin offen“.

Ein bemerkenswertes Konzert macht auch unbescheiden! Es begann übrigens mit einer exzellenten Aufführung des „Don Quixote“ von Richard Strauss, pittoresk gemalt in allen Details, mit Gautier Capuçon in der „Titelpartie“, der hören ließ, dass Cervantes' Held in Strauss' Darstellung kein selbstgefälliger Geck ist, der sich gern in den Spiegel schaut, sondern mit drastischen, also auch klanglich radikalen Mitteln gegen Windmühlen und Hammelherden kämpft.

Herbert Müller assistierte als Sancho Pansa schlagfertig; der Konzertmeister und die exzellenten Solobläser der Symphoniker bleiben den Primi uomini nichts schuldig.

Überdies: Die Orchesteraufstellung ist endlich wieder die – gerade für die Durchhörbarkeit des Wiener Stammrepertoires ideale – alte Ordnung mit den zweiten Geigen rechts vom Dirigenten. Danke auch dafür.

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.