Kein Mensch braucht den "Doktor blockflötikus"

An der Wiener Musikuniversität schwankt gerade die Führungsebene – Symptom falscher Bildungspolitik.

Zwischen Song-Contest-Wahn und Rosa-Mascherl-Ball vergisst die sogenannte Musikstadt Wien völlig darauf, dass die Grundlagen zu einer soliden Musikpflege im Land völlig verloren zu gehen drohen. Im schulischen Leben ganz Österreichs spielen Kunst und Musik überhaupt keine Rolle mehr. Und niemand protestiert.

Denn die Stellen, die Alarm schreien sollten, weil ihnen die talentierten Kandidaten abhandenkommen, sind dermaßen mit sich selbst beschäftigt, dass keine Zeit bleibt, sich um die Sache zu kümmern, um die es eigentlich gehen sollte.

Wer die Vorgänge um die Führung der Musikuniversität verfolgt, kann nicht umhin, von einer Tragödie zu sprechen. Der ins Gigantische aufgeblähte Verwaltungsapparat dieser einstmals führenden Musik- und Theaterausbildungsstätte verliert sich in eitlen Grabenkämpfen.

Nach außen hin ist nicht mehr erkennbar, ob es in der Rektoratsetage noch um anderes als um Machterhalt und Pfründnertum geht. Missliebige Beamte werden expediert und reklamieren sich via Gerichtsentscheid zurück, designierte Rektorinnen treten angesichts der offenbar chaotischen Umstände ihr Amt gar nicht an.

Den „Wach auf“-Chor sollten die betroffenen Studenten ihren selbstverliebten Verwaltern singen. Wozu erhalten wir ein monumentales Kunstuniversitätssystem? Wäre es nicht angesichts des Führungszusammenbruchs an der Zeit, einen gründlichen Umdenkprozess zu starten?

Man hat in völliger Verkennung der Notwendigkeiten eine weltweit geachtete Musikakademie in eine pseudowissenschaftlich grundierte Universität umgewandelt, deren Forschungsleistungen nach außen hin bis heute kaum erkennbar wurden – dafür wurde aber der Apparat gigantisch aufgebläht. In Wahrheit braucht das Land, brauchen die Orchester dieses Landes aber keine verkappten Musikologen, sondern höchst qualifizierten Musikernachwuchs.

Ob ein Klarinettist imstande ist, einen Aufsatz mit akkurat gesetzten Fußnoten zu publizieren, ist völlig irrelevant. Er muss das „Till Eulenspiegel“-Solo theatralisch grotesk und den „Salome“-Beginn butterweich und klangschön blasen können. Dazu braucht er keinen Magistertitel, dazu muss er bei einem exzellenten Musiker in die Lehre gegangen sein. Der vermittelt ihm die nötige Technik – und das Wissen um das historische wie theoretische Drumherum.

Eine Akademie müsste funktionieren wie ein edler Handwerksbetrieb, nach dem Meister-Schüler-Prinzip. Alles andere ist sinnlose Verwässerung. Die derzeitige Krise böte Grund genug zum Knalleffekt: Schluss mit pseudowissenschaftlicher Camouflage, Musiker ans Werk! Traut sich jemand?

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2015)

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