Eine Studentin scheiterte bei „Wer wird Millionär?“ bereits bei der ersten Frage: Das kann doch jeden treffen!
Dem deutschen Massenblatt „Bild“ war es eine Schlagzeile wert: „Warum hat Jauch nicht geholfen?“, hieß es anklagend gegen den Moderator von „Wer wird Millionär?“, als am Montag erstmals in den 16 Jahren, da es diese Sendung gibt, ein Kandidat an der ersten Frage scheiterte, bei der es um 50 Euro ging: Eine Studentin schied nach 45 Sekunden aus, weil sie ein banales Wortspiel nicht verstanden hatte. Sie füllte den Lückentext „Seit jeher haben die meisten...?“ mit „Riesen Schnauzer“ statt mit „Schäfer Hunde“.
Abgesehen davon, dass der Wahrheitsgehalt ihrer Antwort nur schwer zu beweisen oder auch zu widerlegen ist, abgesehen davon, dass es ein Mysterium blieb, warum Günther Jauch diesen Negativrekord zuließ – wie kommt es denn zu solch einem Versagen? Stand auch Jauch auf dem Schlauch? Die Kandidatin beschrieb die Szene so: Sie habe sich überhaupt keine Zeit zum Überlegen gelassen, weil sie „die Frage schnellstmöglich beantworten wollte“. Das sei aus Nervosität misslungen. Auch in einem weiteren Punkt, den sie danach anführte, hat sie völlig recht: „Die Leute müssen erstmal selbst auf dem Stuhl sitzen, um das nachvollziehen zu können.“ Wie wahr! Schadenfreude ist überhaupt nicht angebracht.
Der Kurzschluss liegt in unser aller Natur. Ein US-amerikanisch-israelischer Psychologe, Daniel Kahneman, der Erste seiner Zunft, der einen Nobelpreis für Ökonomie erhielt (2002, für seine Prospect Theory), hat vor vier Jahren in seinem Bestseller „Thinking, Fast and Slow“ eine bestechende Theorie darüber aufgestellt, wie unsere Gehirne Entscheidungen fällen. Nach Jahrzehnten der Forschung, lange gemeinsam mit dem brillanten, 1996 verstorbenen Kognitionswissenschaftler Amos Tversky, gelangte er zu einem wohlüberlegten Schluss: In uns sind zwei sehr unterschiedliche Möglichkeiten angelegt, um ein Urteil zu bilden. System 1 ist schnell, instinktiv, emotional. System 2 hingegen ist logisch und braucht etwas länger, um Tatsachen und Dinge durchzudenken.
Man könnte auch sagen, System 1 entspricht unserer Natur des Müßiggangs, während System 2 anstrengend ist und wesentlich mehr Energie verbraucht. System 1 ist notwendig, wenn es ums nackte Überleben geht: „Löwe? Rauf auf den Baum!“ „Adler? Rein ins Unterholz!“ Ein Homo sapiens sapiens, der in dieser Situation über das Wesen des Raubtiers nachdenkt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit bald tot. Oder er bleibt hungrig. „Kleiner fremder Affe? Angriff!“ Ja, dieses System neigt zu Stereotypen. Wer sich nur darauf verlässt, reagiert auf „Ausländer?“ reflexartig mit „Raus!“
Das durchdachte Denken hingegen ist ein anstrengender Prozess. Statistik fällt uns schwer, wir neigen zu Kurzschlüssen und zur Selbstüberschätzung. Ist der Fehler einmal passiert, sprechen wir von einem „Blackout“. Potzblitz, mir sind die Scheinwerfer ausgegangen! Auslöser für solch einen Filmriss kann tatsächlich Prüfungsangst sein, doch meist sind solche Ausreden nur bequem. Der Primat in uns war stärker. Geben wir es zu, manchmal stehen wir daneben und bleiben dort trotzig stehen, statt zu sagen: „Langsam, wir haben keine Zeit.“ Wenige behaupten auch: „Spontane kognitive Leichtigkeit hat mein unrealistisches Denken gefördert.“
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2015)