Und wo stehen jetzt die Unanständigen (und Untüchtigen)?

„Anständig“, ein altes Lieblingswort der FPÖ, wird allmählich von ihren erklärten Gegnern übernommen. Behält es dennoch seine Aura?

Ein Land zerreißt zwischen Anstand und unanständig“, titelt das „Profil“ in weißen Lettern, und damit man auch sofort versteht, wo der Riss laufen soll, steht in roten Lettern darüber „FPÖ 28%“ und darunter „ÖVP 24%“ und „SPÖ 23%“. So simpel dieses Österreich-Bild ist, so interessant ist die Wortwahl. Sie folgt einem seit Jahren laufenden Prozess: Das Wort „anständig“, einst ein Schlüsselwort der FPÖ, wurde und wird von ihren Gegnern übernommen.

Jörg Haider liebte dieses Wort, das er gern in Kombination mit „tüchtig“, manchmal auch mit „fleißig“ verwendete. Seine Partei wolle „die Anständigen und die Tüchtigen vertreten“, sagte er oft. Aber er attestierte auch Veteranen der Waffen-SS öffentlich, dass sie „anständige Menschen“ seien, „die ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind“. Sensible dachten da an die erschreckende Rede Heinrich Himmlers, in der er SS-Führern bescheinigte, sie seien beim Völkermord „abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben“.

Der jetzige FP-Chef Strache folgt Haider nicht nur in der Sprechweise, sondern auch im Vokabular: „Der Menschenschlag im Innviertel ist so, wie wir uns Politik vorstellen“, erklärte er 2013 bei seiner Aschermittwochsrede in Ried: „Ehrlich, anständig, bodenständig, einfach ehrliche Leute.“

Doch schon 2011 coverte bzw. kaperte der gewitzte Grünenpolitiker Peter Pilz die FP-Prädikate: „Wir sind jetzt die Partei der Anständigen und Tüchtigen“, sagte er in der „Presse“, „die FPÖ ist jene der Abgängigen und Flüchtigen.“ Und der Wiener Ball der Wissenschaften, der 2015 als bessere Alternative zum von der FPÖ veranstalteten Akademikerball ins Leben gerufen wurde, warb mit dem Slogan „Spaß mit Anstand – Tanz mit Haltung“.

So wird das knorrige, in vielen Ohren nach Feldwebel und/oder Gouvernante klingende Wort von einem Milieu in ein ganz anderes transferiert. Erfolgreich? Der Psychotherapeut Viktor Frankl hat es schon 1988 – in memoriam 1938 – programmatisch verwendet: „Der Nationalsozialismus hat den Rassenwahn aufgebracht“, sagte er. „In Wirklichkeit gibt es aber nur zwei Menschenrassen, nämlich die ,Rasse‘ der anständigen Menschen und die ,Rasse‘ der unanständigen Menschen. Und die ,Rassentrennung‘ verläuft quer durch alle Nationen und innerhalb jeder einzelnen Nation quer durch alle Parteien.“

Jörg Haider zitierte diese Sätze gern. Kann sein, dass auch die „Profil“-Redaktion an sie dachte, als sie ihre Risstheorie aufs Cover rückte. Die Passage mit „quer durch alle Parteien“ war ihr wohl weniger sympathisch.

Wer das Pathos des Wortes „anständig“ zu hochtrabend findet, wer Versuchen misstraut, ex cathedra „gute“ und „böse“ Menschen zu unterscheiden – und darauf läuft die Rede von der Anständigkeit oft hinaus –, dem sei die bescheidenere Begriffsbestimmung empfohlen, die Friedrich Torberg gab. Die Generation der 1880er-Jahre sei wenig beeindruckt gewesen, schrieb er, „wenn man jemandem nichts Konkreteres nachzurühmen wusste, als dass er ,ein anständiger Mensch‘ sei. Das sollte sich, wie sie meinten, von selbst verstehen. ,Wenn er nicht wär' anständig, möcht' man ihn einsperren‘, pflegten sie zu sagen.“

Vielleicht muss, so gesehen, Österreich doch nicht gleich zerreißen...

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2015)

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