Genetische Einfalt lässt den Geist nicht blühen

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Die Evolution lässt die Menschen immer klüger werden. Aber nur dann, wenn das Erbe nicht zu monoton ist.

Die Menschen werden immer länger und immer klüger, zumindest in jenem Bereich, der sich vom IQ messen lässt. Beide Effekte haben eine verblüffende Größenordnung, und beide sind weithin unerklärt: Seit den 1930er-Jahren stieg in den verschiedensten Industrienationen der IQ pro Jahrzehnt um drei Punkte, man nennt es nach seinem Entdecker den Flynn-Effekt, führt es auf Bildung, Ernährung und Massenmedien zurück, das alles befriedigt aber nicht so recht.

Noch toller geht es bei der Körpergröße zu: Der durchschnittliche US-Amerikaner ist sechs Zentimeter größer als sein Ahn vor 150 Jahren, bei den Niederländern sind es gar 20 Zentimeter, sie sind inzwischen die längsten auf der Erde, obwohl ihre Ahnen im 18. Jahrhundert die kürzesten in Europa waren. Wieder weiß man nicht warum, vor allem die Differenzen sind unerklärlich. Zwar ist bekannt, dass Männer sich gern strecken: Höher Gewachsene haben mehr Kinder. Aber das gilt ja nicht nur für Niederländer.

Liegt es überhaupt an der Evolution und an den Genen? Das ganze Ausmaß können sie nicht erklären, dazu laufen die Entwicklungen viel zu rasch. Aber mitspielen werden sie schon, auch wenn einem beim Gedanken daran unbehaglich wird, weil man rasch in die Nähe von Biologismen kommt, gar solchen, die in der Reinheit des Bluts das Heil sahen. Die haben allerdings ihren Darwin nicht gelesen, er hat schon bemerkt, bei Pflanzen, dass allzu enge Verwandtschaft die Entwicklung bremst: Inzucht lässt schlecht gedeihen.

Bei Menschen ist es nicht anders, und zwar nicht nur dann, wenn ihre Eltern zu eng verwandt sind, etwa Cousins ersten Grades. Sondern auch dann, wenn sie überhaupt keine Cousins sind, aber in ihren Genomen doch viele identische Sequenzen haben, die dann von beiden auf die Kinder kommen. Diese genomweite Homozygotie kann man mit heutigen Methoden erheben, eine Gruppe von 235 Forschern hat es in Nature getan: Über 350.000 Menschen aus der halben Welt wurden darauf hin ausgewertet, ob genetische Vielfalt einen Einfluss auf Körpergröße und Denkvermögen hat, auch auf körperliche Gebrechen wie Herzleiden. Geprüft wurde die alte Vermutung, dass die Evolution Gene bevorzugt, die den Körper strecken, den Geist schärfen und das Herz schützen, etwa den Blutdruck senken.

Um das Herz kümmert die Evolution sich nicht – das wird für gewöhnlich auch erst krank, wenn die reproduktive Periode sich neigt –, um Länge und Intelligenz schon, ihre Steigerung liegt in den Genen. Die bzw. ihre Träger dürfen nur nicht zu monoton sein: Eine genomweite Homozygotie der Eltern, die der von ersten Cousins entspricht, kostet die Kinder 1,2 Zentimeter Länge und einiges an IQ, sie schlägt sich auch in der Bildung nieder: 9,7 Monate weniger.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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