In der Arena des wissenschaftlichen Publizierens

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Wurde Amerika nur einmal besiedelt oder doch öfter? Zwei Superstars der Genetik kommen am gleichen Material zu gegensätzlichen Befunden.

In der Wissenschaft geht es bisweilen zu wie im Circus maximus, da treten Gladiatoren zu Schaukämpfen an, nicht immer zum Ergötzen des Publikums, aber doch zu dem der Veranstalter. Etwa in der für Angelsachsen hoch emotionalen Frage, welche Völkerschaft(en) Amerika besiedelt haben. Es gibt konkurrierende Antworten, an den Spitzen der Fraktionen stehen Superstars der Genetik, David Reich (Harvard) und Eske Willerslev (Kopenhagen), im Hintergrund kreuzen die Flaggschiffe der Wissenschaftspublizistik, das britische Nature und das US-amerikanische Science, sie publizieren diese Woche um die Wette (21. 7.).

Außer Streit steht, dass eine Einwanderung aus Sibirien kam, als die Beringstraße überquert werden konnte, weil die Eiszeit die Meeresspiegel gesenkt hatte. Da machten sich jene auf den Weg, die als Clovis in Alaska ankamen und sehr rasch bis nach Feuerland vordrangen. Lang schätzte man, dass die ersten Clovis vor etwa 12.500 Jahren da waren; dann hat man es immer weiter in die Vergangenheit verlegt, Willerslev liest nun aus den Genen, dass diese Menschen vor 23.000 Jahren aus Sibirien aufbrachen und sehr langsam über die Beringstraße vordrangen, 8000 Jahre brauchten sie.

Also waren sie vor 15.000 Jahren dort. Dieses Datum mag damit zu tun haben, dass es in Amerika Funde gibt, die älter als 12.500 Jahre sind, vor allem im Süden. Von Alaska ist es weit, das ist das eine Problem. Das andere zeigt sich auf halbem Weg, in Amazonien: Dort gibt es Indigene, die keine sibirischen Züge haben, sondern eher australische und polynesische. Das will nichts heißen, solange es sich um einzelne Individuen handelt, Wellerslev hat es gerade gezeigt, an einem zentralen Fund in Nordamerika, Kennewick Man. Dieser war lang umstritten, er sieht aus wie ein Ureinwohner Japans. Aber seine Gene zeigen, dass er zu den Clovis gehörte (Nature 18. 6.).

Den gleichen Befund legt Wellerslev nun in Science ganz allgemein vor, er hat in aller Breite Gene analysiert, heutige und fossile aus Nord- und Südamerika, zum Vergleich Material aus dem pazifischen Raum: Es hat eine Einwanderung gegeben, nur eine, sie hat sich genetisch später in zwei Linien aufgespalten. Ergo: Das „paläoamerikanische Modell“ ist falsch.

Ebendieses Modell verficht Reich. Er geht davon aus, dass es zwei frühe Einwanderungen gegeben hat, eine aus dem pazifischen Raum. Auch er hat in aller Breite analysiert und bei Indigenen in Brasilien Bestätigung gefunden: Die Gene deuten nach Polynesien, gar auf die Andamen, so steht es in Nature. Dem Leser schwirrt der Kopf: Wellerslev und Reich haben im Grund das gleiche Material bearbeitet, beide sind für höchste Präzision bekannt.

Für wen soll man nun den Daumen heben/senken? Natürlich spielen Konkurrenz und Eifersüchteleien zwischen Diven mit, das Problem liegt aber eher im zentralen Gesetz des Wissenschaftsmarkts: „Publish or perish!“ Wer etwas werden/bleiben will, muss publizieren, natürlich in den wichtigsten Journals, und diese bauen ihre Wichtigkeit gern mit Sensationen aus, die besser gestern als heute geliefert werden. Das treibt das Spektakel voran, die nächste Runde kommt bald.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

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