Weißrussland, Japan, Kenia, oder doch ein Nobelpreis für USA

Nächste Woche ist es wohl wieder so weit: Wer erhält die prestigeträchtige Auszeichnung für Literatur? Diesmal sieht es gut aus für Murakami.

Traditionell stets an einem Donnerstag in der ersten Oktoberhälfte verkündet die Schwedische Akademie, wem am 10. Dezember der Nobelpreis für Literatur verliehen wird. Diese Woche sei es noch nicht so weit, hieß es aus Stockholm. Es bleiben also noch zumindest acht Tage Zeit für Wetten und Wünsche, Spekulationen und Postulationen.

Ein Feuilletonist der angesehenen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“empfahl zum Beispiel den britischen Autor Sir Ahmed Salman Rushdie, paradoxerweise in einem Verriss von dessen Roman Nr. 12: „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“. Das Buch sei schwach, doch vier frühere Werke – von „Mitternachtskinder“ 1983 bis „Des Mauren letzter Seufzer“ 1996 – seien Weltliteratur. Das mag stimmen, aber unter den gepriesenen Werken befinden sich auch die „Satanischen Verse“, die den aus Indien stammenden Rushdie 1989 zum Freiwild für fanatische Moslems machten, weil sie in dem Roman ihren Propheten verspottet sahen.

Eine Entscheidung für diesen verfolgten Autor erfordert also Mut von der Jury. Ebenso gut könnte sie sich für Peter Handke entscheiden. Auch er schreibt Weltliteratur, zählt ebenfalls seit vielen Jahren zum engeren Favoritenkreis. Sein politisch interpretiertes Engagement für eine Teilrepublik des damals noch real existierenden Jugoslawien wirkt aber ähnlich belastend wie eine Fatwa. Außerdem hat im Vorjahr mit dem Franzosen Patrick Modiano ein europäischer Literat den Nobelpreis gewonnen. Das erhöht wahrscheinlich die Chancen für Autorinnen anderer Kontinente, denn die Akademie denkt international.

Wen also wird die Schriftstellerin, Kritikerin und Literaturprofessorin Sara Danius, die neue Vorsitzende der Jury, demnächst verkünden? Diesmal könnte es tatsächlich das Jahr des japanischen Bestsellerautors Haruki Murakami werden, der in den letzten Jahren so häufig bei den Buchmachern wochenlang führte, um dann am entscheidenden Donnerstag von einem kometenhaften Konkurrenten geschlagen zu werden. Der produktive Prosaiker durchlebt gerade eine besonders kreative Phase, einen Frühherbst der Fantasie. Aber wer weiß, nach welchen Kriterien das schwedische Orakel entscheidet? Viele der Würdigsten haben den Preis nicht bekommen – von Achmatowa bis Zola. Am besten fragt man also die Buchmacher, die haben eigene Regeln.

Tatsächlich führt zurzeit bei Ladbrokes die Weißrussin Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch (Short Storys, Essays, Reportagen) mit einer Quote von 5:1, gefolgt von vier Nichteuropäern. Haruki Murakami (6:1) liegt diesmal nur auf Rang zwei, der Kenianer Ngugi Wa Thiong'o (7:1) auf Rang drei. Weit vorn sind diesmal auch wieder Philip Roth (8:1) sowie Joyce Carol Oates (12:1) aus den USA.

Und Handke? Respektable 20:1. Er hält einen Block von mindestens 49 großen Autoren auf einige Distanz, die derzeit mit 50:1 gehandelt werden. Darunter auch Sir Rushdie.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)

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