Vom Revoluzzertum zur Altersweisheit

Im Musikverein kann man im Oktober beinah das symphonische Gesamtwerk von Richard Strauss hören.

Ich kann mir kaum denken, dass unser Publikum wirklich Genuss und Begeisterung aus diesem wüsten Hexenkessel geschöpft hat.“ Also schrieb Eduard Hanslick in der „Neuen Freien Presse“ nach der Wiener Erstaufführung von Richard Strauss' „Also sprach Zarathustra“. Der „endlose Applaus“, immerhin „von beherzten Zischlauten gemildert“, müsse, so sinnierte der gestrenge Musikkritiker, dem Orchester gegolten haben, das sich tapfer durch das neue Werk gekämpft habe.

Da irrte der allgewaltige Rezensent, denn der Komponist wurde rasch zu einer der Ikonen des Wiener Musiklebens und seine Musik galt spätestens nach der Premiere des „Rosenkavaliers“, 1911, als wichtiges Glied in der Kette des europäischen Repertoire-Kanons. Im Oktober führen uns Riccardo Chailly mit dem Gewandhausorchester und Franz Welser-Möst mit den Clevelandern im Musikverein beinahe durch das symphonische Gesamtwerk des Meisters.

„Welcher Dirigent fängt nicht mit dem Don Juan an?“, fragte einst ironisch Herbert von Karajan, auf sein Konzert-Debüt angesprochen. Für Dirigenten zählen die Tondichtungen von Strauss bis heute zu den liebsten Demonstrationsobjekten ihrer Kunst. Und Orchestermusiker wissen es zu schätzen, dass sie bei Strauss all ihren Klangsinn mobilisieren dürfen, zur Pflege der Kunst vielfach farblich differenzierten Zusammenspiels, aber auch bei den vielen größeren und kleineren Soli.

Wie eine Fanfare der neuen Zeit klingt bis heute der vulkanöse Beginn des „Don Juan“ (1888). Mit diesen stürmischen Anfangstakten war Strauss ganz da; führender Avantgardist zunächst, dann Bannerträger der Besinnung auf die große Tradition angesichts der Irritationen, die die von ihm mitbegründete Moderne mit sich gebracht hatte.

An den frühen Tondichtungen erprobt er seine später legendäre Orchestrierungskunst, wie er an Dutzenden Liedern übte, eine Gesangsstimme souverän auch über harmonisch raffinierte Berg- und Talwanderungen zu führen.

Als er die beiden Disziplinen in der Oper vereinigte, versiegte Strauss' Lust an Liedern ebenso wie an Orchesterkompositionen. Nach dem Welterfolg „Salome“ entstand nur noch die gigantische „Alpensymphonie“, in der sich der Meister den Traum erfüllte, „einmal zu komponieren, wie die Kuh Milch gibt“.

Erst angesichts seiner in Ruinen versunkenen Heimat sang Strauss noch einige Abschiedsgesänge, die herrlichen „Vier letzten Lieder“, die todtraurigen „Metamorphosen“ und klassizistische Concerti, von denen das für Oboe vielleicht das feinste darstellt, ein abgeklärtes Adieu . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2015)

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