Wer ist wirklich reich? Nur die Zufriedenen, so der Philosoph

Was für ein Glück! Auch mit Studien zu Konsum, Armut und Wohlfahrt kann man den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewinnen.

Geld ist wichtig für die Zufriedenheit – bis zu einer gewissen Summe. Zu diesem Ergebnis kamen 2010 zwei bedeutende Wissenschaftler: Daniel Kahneman und Angus Deaton fanden in einer Studie über den Zusammenhang von Einkommen und persönlichem Lebensglück heraus, dass sich die Zufriedenheit ab einem Nettoeinkommen von damals umgerechnet 60.000 Euro pro Jahr nicht mehr wesentlich steigern ließe. 450.000 US-Bürger nahmen für diese Analyse an einer Umfrage teil.

Nun, die beiden Forscher werden sich schon gefreut haben über den ihnen verliehenen Nobelpreis, aber genau darum geht es: Nicht das Geld ist das Wichtigste, sondern neben Liebe vielleicht Anerkennung – oder auch bloß die Freude am Denken.

Der aus Israel stammende US-Amerikaner Kahneman hat 2002 als erster Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten. In seinem wunderbaren Buch „Thinking, Fast and Slow“ (2011) machte er klar, wie es in unseren Köpfen wirklich tickt. Der Schotte Deaton, der in Princeton lehrt, hat den Nobelpreis an diesem Montag zugesprochen bekommen, für seine profunde Kenntnis über die Themen Konsum, Armut und Wohlfahrt. Als Mikroökonom weiß er auch genau Bescheid über den Zusammenhang zwischen Geldmangel und Unglück.

Wie aber schafft der Mensch Zufriedenheit? Er vollbringt ein wahres Kunststück, denn um sie zu maximieren, muss er, folgt man der Studie von Kahneman und Deaton, erst einmal mächtig strampeln, denn 60.000 Euro im Jahr verdienen sich meist nicht von selbst. Wer sich dann an das viele Arbeiten gewöhnt hat, das nötig ist, um regelmäßig an diese doch recht hohe Geldsumme zu kommen, für den ist das Glücksvogerl wahrscheinlich bereits vor der Lebensmitte weggeflogen.

Kluge Leute streben deshalb unter Umständen nicht die maximale Summe zur Erlangung der kaum mehr zu steigernden Zufriedenheit an, sondern bloß eine ausreichende für das kleine bisschen Glück. „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug“, wusste schon der griechische Philosoph Epikur von Samos vor 2300 Jahren. Gut eine Generation zuvor hatte Aristoteles behauptet: „Reich sind nur die Zufriedenen.“ Allerdings verschweigt der große Philosoph des goldenen Wegs der Mitte nicht, dass zum Wohl des Menschen auch äußere Güter gehören und günstige Umstände, sie zu nutzen. Sonst bleibt einem nichts übrig als stoische Tugend. Dann wird Begierde brutal zur Unvernunft erklärt.

Die Europäische Union lässt übrigens regelmäßig die Zufriedenheit ihrer Bürger ermitteln, dabei schneiden die nordischen Länder und Österreich derzeit am besten ab – Staaten also mit hohen Medianeinkommen und zudem mit starker Umverteilung. Das sind Ausnahmen in einer überwiegend ungerechten Welt. Wir haben einfach unverschämt viel Glück.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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