Die Zeit der Erben des Nikolaus Harnoncourt

Heute abend findet erstmals eine Opernaufführung „im Sinne“ dessen statt, der sie vorbereitet hat: „Fidelio 1806“

Die Abschiedsvorstellung hat stattgefunden. Am 6. Dezember, dem Nikolaustag, gleichzeitig der Geburtstag des prominentesten Nikolauses des internationalen Musiklebens, hat die Verehrergemeinde im Musikverein erfahren, dass Nikolaus Harnoncourt nie wieder als Dirigent in Erscheinung treten wird.

Es folgen einige Nachspiele mit zum Teil bedenklichen Konnotationen. Was soll, denkt man, aus einem Festival wie der Grazer Styriarte werden, das ganz und gar auf diesen einen Interpreten zugeschnitten war – und heuer mit einem Beethoven-Zyklus aufwartet, den nun verschiedene Dirigenten und Dirigentinnen übernehmen?

Wie das völlig auf Harnoncourt eingeschworene Publikum reagieren wird, bleibt abzuwarten; ebenso wie die Antwort auf die Frage, wie die Grazer nächstes Jahr ein neues Festival erfinden werden.

Für viele Musikfreunde heißt es jetzt auch: Was wird aus dem Concentus musicus, das über die Jahrzehnte hin Harnoncourts Ensemble war? Es kann nicht irgendein anderer Dirigent übernehmen. Heute, Montagabend, wird man erleben, wie dieses Orchester unter der Leitung seines Cembalisten Stefan Gottfried im Uraufführungshaus, dem Theater an der Wien, die von Harnoncourt geplante Rekonstruktion des originalen „zweiten Fidelio“ von 1806 musizieren wird.

Dass und wie man ohne den Spiritus rector, aber in seinem Geist aufspielen kann, hat der Concentus freilich schon im Vorjahr bei Michael Schades Melker Pfingstkonzerten demonstriert: Konzertmeister Erich Höbarth nahm die Zügel in die Hand und führte vom ersten Pult aus.

So ähnlich hatte die Sache in den Fünfzigerjahren ja auch begonnen: Harnoncourt als Cellist oder Gambist fungierte als Primus inter pares. Das markierte für Österreich den Beginn der Originalklang-Zeit; als Dirigent vermochte Harnoncourt seine Ideen dann auch internationalen Orchestern wie dem des Amsterdamer Concertgebouws zu vermitteln.

Der Concentus, in jüngster Zeit in die Fußstapfen großer Symphonieorchester getreten, wird sich vielleicht wieder seiner Wurzeln besinnen und ein ihm gemäßes Repertoire als Kammerensemble pflegen. Man hat in der Ära Harnoncourt zu einem Stilbewusstsein gefunden, das nicht verloren gehen darf, stellt es doch eine ganz spezielle Farbe – nicht nur – im Wiener Musikleben.

Vielleicht findet man sich im Brahmssaal des Musikvereins wieder und läutet eine neue Runde der Besinnung auf barockes und klassisches Wiener Erbe ein. Gerade Erich Höbarth tut das mit seinem Quatuor Mosaïques ja seit Langem; er wird wohl auch etwas größer dimensionierte Formen auszufüllen wissen. Nikolaus Harnoncourt wird seine Erben ja hoffentlich noch eine schöne Zeit lang freundlich beratend beobachten . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2016)

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