Von den schönen Zwischenfällen im Musikleben

Musik erhebt - in deutschsprachigen Landen zumal - oft Anspruch auf tiefe Konnotationen. Gottlob nicht immer.

Geschichtsschreibung orientiert sich in aller Regel an den Feldherren und Monarchen, an siegreichen oder verlorenen Schlachten – was die Kunst- und Musikgeschichte angeht, hört man viel von Monteverdis „Orfeo“ und Bachs „Matthäuspassion“, Beethovens Neunter, Wagners „Ring“ und Strawinskys „Sacre du printemps“, das man sogar einmal die „Atombombe in der Musikgeschichte“ genannt hat.

Es tut gut, wenn Interpreten uns hie und da in Gefilde locken, wo kein Kanonendonner zu vernehmen ist. Kommenden Mittwoch und Donnerstag musizieren die Pianisten Magda Amara und Stefan Vladar mit dem Wiener Kammerorchester im Konzerthaus gleich zwei Werke, die niemand je genannt hat, wenn es darum ging, die Pfade des musikalischen Fortschritts zu markieren: ein Doppelkonzert von Felix Mendelssohn-Bartholdy und die Serenade Nr. 1 von Johannes Brahms.

Der junge Mendelssohn war gerade 15, als er daran ging, seinem für das gemeinsame Musizieren mit Schwester Fanny im Jahr davor komponierten Doppelkonzert (E-Dur) ein Gegenstück zu formen: Das As-Dur-Konzert, ganz unter dem Eindruck der Begegnung mit dem Klaviervirtuosen Ignaz Moscheles, der vom Talent des Wunderkinds fasziniert war, demonstriert die heile Musikwelt Mendelssohns.

Ein bisschen Mozart, elegant verbrämt mit artigen Klavierkoloraturen; hie und da blitzt ein wenig von der geschmeidigen Melodienkunst des reifen Mendelssohn durch, der sich von den klassischen Vorbildern lösen und zu einer romantischen Ausdruckskunst empfindsamer Natur finden wird – einer Ausdruckskunst, die sich von den vergleichsweise brachialen Methoden der deutschen Hochromantik durch eine gewisse Leichtigkeit auszeichnet, die man dem Komponisten dann gern als Oberflächlichkeit ausgelegt hat.

Friedrich Nietzsche war da hellhöriger und sprach vom „schönen Zwischenfall“ in der deutschen Musikgeschichte. Tatsächlich komponiert der 15-Jährige wie einer, der schon das „Leicht muss man sein“ vorausgeahnt hat, das Hofmannsthal seiner Marschallin in den Mund legen wird . . .

Einer, der anfangs auch vor den titanischen Ansprüchen einer neuen Musiksprache „nach Beethoven“ zurückschreckte, war Johannes Brahms. Als er mit dem zyklopischen Tonmaterial, aus dem später sein d-Moll-Klavierkonzert werden sollte, gerade verzweifelt um die große, die symphonische Form rang, veröffentlichte er – quasi zum Aufwärmen – zwei Serenaden. Deren erste dirigiert Stefan Vladar nach dem Mendelssohn-Konzert; und man wird hören, dass es noch dauern musste, bis aus so viel charmantem Kunsthandwerk die „Zehnte Beethovens“ sprießen konnte . . .

E-Mails an:wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.