Ein Mittelweg nach dem Schauspiel der Machtversessenheit

Ein Schulbuch für Ethik
Ein Schulbuch für Ethik (c) Clemens Fabry
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Wie kommt man aus der politischen Krise? Manager-Fibeln allein sind zu wenig. Etwas mehr Ethik könnte hingegen nicht schaden.

Wer würde der Behauptung widersprechen, dass derzeit selbst die Österreicher auf ihrer angeblichen Insel der Seligen in interessanten Zeiten leben? Ein verbrauchter Bundeskanzler wird ausgepfiffen, ein frischer freudig begrüßt wie ein neuer Messias. Er geißelt gleich nach seiner Angelobung das „Schauspiel der Machtversessenheit“ und meint damit auf Nachfrage ein ganzes politisches System, das die Wähler in Extreme zu treiben scheint. Selbst internationale Medien berichten wieder schaudernd und mit Lust über Adolf Hitlers neue alte Heimat.

Willkommen Krise! „Entweder – oder“ heißt die Devise für die Beherzten, „Furcht und Zittern“ für die Unentschlossenen. Angst ist neuerdings das stärkste bürgerliche Grundgefühl. Befinden wir uns tatsächlich an einem Wendepunkt, auf dem Weg in die Dritte Republik oder etwas ganz anderes? Die Gesellschaft wirkt unheimlich gespalten, ob man nun ihren höchsten Repräsentanten zuhört, die ähnlich schrill klingen wie die buntesten Gratisblätter, oder dem einfachen Gast am Wirtshaustisch in seinem Elend.

Was ist, könnte man fragen, aus dem goldenen Mittelweg geworden, den der griechische Philosoph Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus (auch er lebte in recht bewegten Zeiten) empfohlen hat und der sich seither besonders in der Politik zu bewähren schien? Der neuen alten Regierung wären seine Reflexionen zu empfehlen – und mehr vielleicht noch der triumphierenden Opposition, der Anleitungen zur Moderation ebenfalls Nutzen brächten. Die Liberalen unter ihnen, falls es sie noch gibt, könnten auch eine Portion John Stuart Mill vertragen – „On Liberty“ zum Beispiel. Nicht Patentrezepte aus Manager-Fibeln, nicht Völkisches oder Klassenkämpferisches, sondern haltbare Klassiker sind für Staatsfrauen und -männer immerwährend an der Zeit.

Das Ziel von deren Kunst und das Höchste aller Güter sei das Glück, sagen die Leute, sagen die feinen Geister, sagt Aristoteles in seinem bedeutenden Spätwerk „Die Nikomachische Ethik“. Um das aber nachhaltig zu erreichen, sollte man Maß halten, sogar mit den Tugenden. Das Lustprinzip allein genügt nicht, es versklavt nur. Wer dauerhaft glücklich sein will, bedarf der Klugheit, die sich im besten Fall zur Weisheit entwickelt. Nur wer es versteht, die Mitte zu halten, erreicht diese schönste Form der Vernunft.

Und was hat das mit uns heute zu tun? Viel. Freigiebigkeit oder Tapferkeit etwa, um die berühmtesten Beispiele bei Aristoteles zu nennen, die an sich positive Charaktereigenschaften sind, verkehren sich ins Negative, wenn man sie übertreibt. Dann kommen selbst die Besten aus ihrer besten Verfassung.

Wem aber Glück und Klugheit zu wenig fürs Regieren sind, der kann sich nach der antiken Lektüre getrost neuzeitlichen Varianten des pflichtgemäßen Handelns zuwenden. Vielleicht ergibt sich dadurch sogar jenseits des Schauspiels der Machtversessenheit eine Koalition der Vernünftigen, die zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu unterscheiden wissen. Echte Staatskunst sollte (sich) so viel Reflexion leisten können.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 19.05.2016)

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