Regietheater ist dort, wo Wagner und Verdi „inszenieren“

In München und in Dresden redete man jüngst über Musik und aus der Musik geborenes Theater. In Wien tut man es ganz ohne Premieren auch.

Die Opernwelt blickte dieser Tage nach Deutschland: Gleich zwei Wagner-Premieren sorgten für Hochspannung, eine in München, eine in Dresden. Und schon so, wie der vorige Satz hier stand, war er inhaltlich nicht ganz korrekt. Denn in Dresden handelte es sich um keine Neuinszenierung, sondern um die Neueinstudierung einer über 30 Jahre alten Produktion.

Und trotzdem waren sich die Musikfreunde einig: Der Dresdner „Lohengrin“ in der altbewährten Inszenierung von Christine Mielitz war ein Ereignis. Waren doch die Rollendebüts von Anna Netrebko und Piotr Beczała in den heldischen Wagner-Partien zu verzeichnen; und diese wurden unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann zu veritablen Ereignissen. Die Grundlage der Regiearbeit, die die begnadete Personenführerin Mielitz schon in Zeiten geliefert hat, als die Semperoper noch gar nicht wiedereröffnet war, genügt heute noch, um die Spiellust der Sängerdarsteller zu animieren und sie zu Leistungen zu treiben, die mit dem Text und der Musik harmonieren.

Dergleichen verstand man unter lebendigem Musiktheater – und versteht es, wie die Reaktionen zeigen, noch immer so.

In München jubelte die versammelte Wagner-Gemeinde nicht minder, denn auch da versuchte sich ein Publikumsliebling im schweren Fach: Jonas Kaufmann debütierte als Stolzing und gewann – wie denn auch anders? – die Herzen.

Es gelang ihm unter der Leitung von Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der das Bayerische Staatsorchester auf eine wahrhaft unerhörte Weise zum Spielen brachte: So differenziert und pointiert hört man die einzige Komödie aus Wagners Reifezeit nur an seltenen Feiertagen.

Dass bei der Gelegenheit auch gleich eine Neuinszenierung aus der Taufe gehoben wurde, hat bei den vielen Nachberichten, die in der Opernszene rege ausgetauscht wurden, niemanden auch nur am Rande interessiert. Eher empfand man das Spiel in der modischen Kulisse als störend. Am besten hatten es, so der Tenor der Kommentare, die Hörer, die die Aufführung via Bayern 4 mitverfolgten. Sie hatten es jedenfalls gut, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen darf.

Solche „Opernwahrheiten“ hat vor Jahren schon die große Ileana Cotrubaş in ihrem gleichnamigen Erinnerungsbuch verkündet. Nur die Opernintendanten – vorrangig jene, die in Deutschland tätig sind – glauben das Gewäsch der Rezensenten von der Notwendigkeit einer fortwährenden „Erneuerung“ des Musiktheaters durch den Geist der Regie noch, der ja, wie die Erfahrung lehrt, eher ein Ungeist ist. In Wahrheit ist jede gute musikalische Neueinstudierung einer großen Oper in stimmiger Kulisse eine taugliche „Erneuerung“.

Wie heutig, wie modern etwa ein Werk wie Verdis „Don Carlos“ wirken kann, wenn sich (in neutraler Kulisse) eine exquisite Riege begnadeter Singschauspieler einfindet, ist derzeit gerade an der Wiener Staatsoper zu studieren. Was sich da an angewandter Psychologie zwischen den einzelnen Charakteren auf der Bühne ereignet, ist „Regietheater“ genug; denn da „inszenieren“ Schiller und Verdi.

Dergleichen wird nicht alt; auch wenn man es uns immer wieder einzureden versucht. Wer's live nicht erleben kann, versuche sich am Livestream (2. Juni). Spannenderes „Opernkino“ wird kaum geboten . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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