Cameron wird sich vor der Geschichte verantworten müssen

REUTERS
  • Drucken

Der britische Premier setzte mit dem Referendum die Zukunft seines Landes aufs Spiel. So handelt kein Staatsmann, sondern ein Hasardeur.

David Cameron ist krachend gescheitert. Unter den Trümmern seiner verfehlten Europastrategie liegt nicht nur seine eigene Karriere, sondern das Wohl seines Landes und letztlich auch des gesamten Kontinents.

Sowohl Großbritannien als auch die EU gehen geschwächt aus diesem historischen Referendum hervor. Die Briten wählten in ihrem seit Jahren lustvoll geschürten Zorn auf Brüssel die wirtschaftliche Stagnation. Der Absturz des Pfunds ist ein untrüglicher Vorbote dafür. Doch auch die Union wird ohne die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas im globalen Maßstab deutlich an Gewicht verlieren – und ohne das britische Atomarsenal sicherheitspolitisch noch weniger ernst zu nehmen sein als schon bisher.

Diese Scheidung kennt nur Verlierer. Eingeleitet hat sie ein Hasardeur: David Cameron. Er hätte dieses Referendum nicht ansetzen müssen, niemand hat ihn dazu gezwungen. Cameron trat aus rein parteitaktischen Gründen die Flucht nach vorn an. Er wollte damit den EU-Gegnern in den Reihen seiner Konservativen den Wind aus den Segeln nehmen. Das war von Anfang an sein Spiel. Deshalb lotste er die Tories gleich nach seiner Wahl zum Parteichef aus der Europäischen Volkspartei, deshalb handelte er bei jeder Gelegenheit in Brüssel Sonderregelungen aus, deshalb führte er Großbritannien in das Referendum, um den Brexit ein für alle Mal vom Tisch und seine innerparteilichen Gegner in die Schranken gewiesen zu haben. Doch es lief nicht so, wie sich der Zauberlehrling das vorgestellt hatte. Am Ende seiner waghalsigen Manöver plumpste Cameron selbst ins Wasser – und mit ihm ein ganzes Land. So handelt kein Staatsmann, sondern ein Zocker.

Cameron war zudem bei dieser Abstimmung eine krasse Fehlbesetzung als Anführer des proeuropäischen Lagers. Wer vermochte jemandem, der selbst gewohnheitsmäßig gegen Brüssel gewettert hatte, abnehmen, leidenschaftlich für den Verbleib in der EU einzutreten? Eine kraftvolle Kampagne konnte so nicht entstehen. Als fatal erwies sich, dass Cameron bis zum Ende die eigene Mannschaft nicht im Griff hatte. Seine Parteifreunde machten von der Regierungsbank aus Stimmung für den Brexit. Diese Form der Toleranz kann man nobel nennen, doch machtpolitisch führt ein derart dilettantisches Laisser-faire ins Verderben. Das Messer in den Rücken stieß ihm dann Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, als er sich an die Spitze der Brexit-Befürworter setzte. Damit war das Drama gelaufen.

Für die unabsehbaren Folgen ihrer kleinen taktischen Spielchen werden sich beide vor der Geschichte verantworten müssen.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

NATIONALRAT: KURZ/MITTERLEHNER/KERN
Europa

Kern: "Nicht mit dem nackten Finger auf Briten zeigen"

Der Nationalrat hat das Brexit-Votum und seine möglichen Folgen diskutiert. Kanzler Kern und Vizekanzler Mitterlehner lehnen nationale Alleingänge ab.
Der bevorstehende Brexit wirft die Frage nach der künftigen Beziehung Großbritanniens zur EU auf.
Europa

Londons Optionen nach dem Brexit

Die Briten müssen sich entscheiden, wie viel Zugang zum europäischen Binnenmarkt sie haben wollen. Zur Verfügung stehen drei Modelle mit jeweils unterschiedlichen Rechten und Pflichten.
Hans Jörg Schelling sieht keinen Stress der Briten, den Austritt wirklich zu vollziehen.
Europa

Schelling glaubt nicht an Brexit in den nächsten Jahren

Der Finanzminister kann sich auch einen "Teil-Brexit" vorstellen. Schottland und Nordirland bei der EU bleiben. Schelling fordert einen Umbau der EU.
Angeblich stehen mehrere Unternehmen hinter dem Einspruch.
Europa

Britische Kanzlei klagt gegen Brexit ohne Parlamentsvotum

Das Ergebnis des Referendums sei rechtlich nicht bindend, sagen Juristen. Daher fordern sie eine Abstimmung im Parlament.
Bürgern sei nicht klar, wer für Entscheidungen auf EU-Ebene verantwortlich sei.
Europa

EU-Parlamentspräsident will "echte europäische Regierung"

Die EU-Regierung sollte durch zwei Kammern kontrolliert werden, meint Martin Schulz. Denn dann könnten unzufriedene EU-Bürger das Parlament abwählen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.