Und jetzt muss es richtig wehtun

Bei den Austrittsverhandlungen wird es keine Geschenke für Großbritannien geben – aus politischer Logik und Furcht vor einem Dominoeffekt.

Argumente haben in diesem Referendum nicht gezählt, Emotionen und Aggressionen schon. Insoweit ist es nur gerecht und fair, wenn eine Mehrheit der britischen Bevölkerung nun auch die Folgen ihrer Entscheidung zu spüren bekommt. Es wird wehtun, so viel steht bereits fest. Denn die anderen 27 Mitgliedstaaten werden es Großbritannien in diesen Austrittsverhandlungen nicht leicht machen. Die weitere Teilnahme am Binnenmarkt wird schmerzhafte Nebeneffekte haben.

Was hätte eine Mitgliedschaft in der EU noch für einen Sinn, wenn es dasselbe auch billiger, ohne Verpflichtungen, gibt? Wie rasch würden andere Länder, die gerade mit gemeinsamen europäischen Entscheidungen hadern, den gleichen Weg einschlagen wie die Briten? Es hat nichts mit Rache, aber mit politischer und ökonomischer Logik zu tun, dass Großbritannien bluten wird.

Dieses Blut wird wohl ziemlich bald in Form von kleineren und größeren Demütigungen fließen. Etwa, wenn Frankreich und weitere Länder ohne Absprache mit London eine Änderung der Marktregeln für Finanzunternehmen durchsetzen. Das Blut wird bei dem britischen Wunsch nach einer weiteren Teilnahme an Forschungsprogrammen und Studentenaustauschprogrammen fließen. Denn diesen Zugang wird es für Briten nicht mehr zum Nulltarif geben. Großbritannien, das sich heute noch kurz darüber freut, dass es bald seinen jährlichen EU-Nettobeitrag von fünf Milliarden Euro im eigenen Land ausgeben kann, wird sich jegliche Teilnahme an seinem Europa à la carte erkaufen müssen. Wer das Menü nicht will, muss eben für seine ausgewählten Filetstücke tief in die Tasche greifen.

Alle Filetstücke werden dem schwierigen Gast freilich sowieso nicht mehr kredenzt. Dort, wo andere Mitgliedsländer eine Chance sehen, ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf Kosten des Königreichs zu verbessern, Marktanteile zu ergattern, werden sie britische Anbieter abdrängen.

Wehtun wird es aber auch vielen jungen Menschen, die in Großbritannien für einen Verbleib in der EU gestimmt haben. Sie werden im Gegenzug zu den erwartbaren neuen Zuwanderungsbeschränkungen für EU-Bürger auf der Insel nun ebenfalls weniger Job- und Aufenthaltsmöglichkeiten auf dem Kontinent vorfinden.

Die EU-Partner müssen gegenüber London in diesen Austrittsverhandlungen hart bleiben, auch um einen Dominoeffekt zu verhindern. Zu hart wäre freilich kontraproduktiv. Denn eine völlige Abschottung von der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft würde letztlich beiden Seiten schaden.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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