Wenn jemand geschröpft wird, kann es auch blutig zugehen

Vom Schröpfen im Sport, der Medizin und in der Welt des Geldes: Über eine Tausende Jahre alte Therapieform – und blutige Finanzmetaphern.

Aderlässe, Blutegel, Einläufe, Spanische Fliegen, Brunnenkuren, Sport, Diät – Goethe hat viel mit seiner Gesundheit experimentiert, um seine physischen und psychischen Krankheiten wegzubekommen, zum Beispiel seine Depressionen, die Schiller schon daran zweifeln ließen, dass er je den „Faust“ beenden würde. Zu seinen Therapien gehörte auch das Schröpfen. Das wurde schon vor Tausenden Jahren in Mesopotamien, China, Babylon und im alten Ägypten praktiziert, war bei Naturvölkern Nord- und Südamerikas wie Afrikas beliebt. In Europa nicht nur das – es war auch immer wieder verrufen, verboten. Die Alternativmedizin hat es wieder in Mode gebracht. Aber wer hätte gedacht, dass es öffentlich noch einmal so viel Aufmerksamkeit erhalten würde? Alles wegen ein paar mit dunklen, kreisrunden Flecken versehenen Oberkörpern von Olympia-Sportlern . . .

Sogar in den Märchen aus „Tausend und einer Nacht“ kommt das Schröpfen vor, in einer Anweisung, was das muslimische Fasten unwirksam mache: „Der Staub auf der Reise, Blicke, die man auf verbotene Dinge wirft, das Aderlassen und das Schröpfen“ . . . Schamanen machten es mit dem Mund und machen es zum Teil noch bis heute – und saugen, heißt es, mit dem Blut auch böse Geister aus. Und in China lehrte – und lehrt – man, dass das Schröpfen das Blut und die Lebensenergie Qi wieder frei fließen lasse. Hippokrates und andere griechische Ärzte hatten eine ganz andere Theorie dafür, die Lehre von den vier Körpersäften (Schleim, Blut, gelbe und schwarze Galle). Krankheiten führten sie auf eine Entmischung der Säfte im Körper zurück, mit Schröpfköpfen sollte der Säftehaushalt wieder ausgeglichen werden. Bei den alten Griechen war das Schröpfen so beliebt, dass der Schröpfkopf – etwa auf Grabreliefs – zum Symbol des Arztberufs wurde. Sikuos, Kürbis, hieß er dort, die Römer nannten ihn verniedlichend Cucurbitula, kleiner Kürbis.

Wohl kaum ein Österreicher hat sich schon schröpfen lassen oder andere geschröpft – außer im übertragenen Sinn: indem er sich hat das Geld aus der Tasche ziehen, ausnehmen lassen. Das Blut-Absaugen steckt im deutschen Wort, es kommt vom Mittelhochdeutschen Schreffen, Schrepfen (Ritzen, Zur-Ader-Lassen). Bald wanderte es – obwohl das Blutaussaugen beim Schröpfen ja wohltuend sein sollte – ins Negative gewendet in den Geldbereich, ab und zu verwendet man es in dieser Bedeutung heute noch. Da kritisieren die einen, dass der Staat seine Bürger schröpft, die anderen geben Tipps, wie man am geschicktesten den Fiskus schröpfen kann . . . Ein Sprachbild mit schrecklichen Verwandten: Blutsauger wurden nicht nur im Nationalsozialismus die Juden genannt. Auch das Schröpfen ist, selbst wenn man es vergessen hat, eine buchstäblich blutige Finanzmetapher.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2016)

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