Woodstock in der Wüste: Letztes Date mit den Alten des Rock

Für Dylan, McCartney, die Rolling Stones und ihre Premiumfans bietet sich im südkalifornischen Coachella die Chance, Versäumtes nachzuholen.

Wer sich an die 1960er-Jahre erinnern kann, der habe sie nicht miterlebt, sagt man. Trotz des angeblichen psychedelischen Dauerdeliriums wissen indessen erstaunlich viele wie aus erster Hand über ein Augustwochenende anno 1969 zu berichten, über das Woodstock-Festival, als hätten sie sich selbst dort im Schlamm gewälzt. Die Zahl der Augenzeugen übersteigt bei Weitem jene halbe Million Menschen, die damals zu Max Yasgurs Farm in Bethel in den Catskills im Bundesstaat New York pilgerten, um die Sixties hochleben zu lassen und das Lebensgefühl des Rebellentums mit den Ingredienzien der ewigen Jugend zu zelebrieren: Sex, Drugs, Rock 'n' Roll.

Bob Dylan, Paul McCartney und die Rolling Stones waren nachweislich nicht in Bethel dabei – jedenfalls nicht physisch. Dabei hatten sich die Veranstalter so sehr um Dylan bemüht, der damals als junger Familienvater zurückgezogen in der Abgeschiedenheit der Künstler- und Hippie-Kommune von Woodstock lebte. Für sie und für die Woodstock-Veteranen Neil Young sowie für Roger Daltrey und Pete Townshend von The Who und deren Generation eröffnet sich nun die Möglichkeit, alles nachzuholen, was sie einst womöglich versäumt haben. Coachella ruft zu einem Revival, zu einem Woodstock der Althippies, der Junggebliebenen, der Senioren – kurzum der „Best Agers“, wie dies in den Werbespots stets euphemistisch heißt.

Mitten in der südkalifornischen Wüste, nahe des Joshua-Tree-Nationalparks und des Rentnerparadieses Palm Springs samt Golfplätzen und einem vom Austrocknen bedrohten Salzsee, treffen sich, wegen der großen Nachfrage gleich an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden (7. bis 9. 10, 14. bis 16. 10.), die in die Jahre gekommenen Fans mit den Idolen ihrer frühen Adoleszenz. Womöglich ein letztes Rendezvous bei gesalzenen Eintrittspreisen von 200 bis 35.000 Dollar und gepfefferten Gagen für die Rockopas.

In klimatisierten SUVs, bei einem von Starköchen zubereiteten Vier-Gang-Menü lässt sich für die Premiumfans das Ungemach eines Open-Air-Spektakels in der Wüste, lassen sich Hitze, Wind und Staub gleich viel besser ertragen als der Dauerregen vor bald 50 Jahren in Bethel. Dylan, Jagger und Richards: Rollende Steine in der Wüste – das ist, als kämen die Propheten zum Berg zurück. Und überhaupt: Wann treten die Dinosaurier der Sixties noch einmal in so geballter Form und Formation auf? Ihre Heldensagen von dem Event, durchgestylt und vermarktet bis in den letzten Winkel des Globus, können die Oldies ihren Enkelkindern jedenfalls bis ins kleinste Detail auftischen – sofern diese nicht zu fragen wagen: Wer in aller Welt sind The Who?

E-Mails an:thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2016)

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