Das Christkind gibt es, zumindest in der Fußgängerzone

Ein Pfarrer soll Kindern erklärt haben, dass es kein Christkind gibt. Hat er damit das Weihnachtsfest verteidigt oder gestört?


Wut überall und immer, auch vor Weihnachten: „Nach der Adventkranzweihe in einer niederösterreichischen Volksschule brennen Dutzende Eltern – vor Wut“, schreibt die U-Bahn-Illustrierte „Heute“. Auslöser bzw., um bei der Metapher zu bleiben, Anzünder der Wut ist ein niederösterreichischer katholischer Pfarrer: Er soll den Kindern „beinhart“ gesagt haben, „dass es kein Christkind gibt und die Geschenke unter dem Baum von den Eltern stammen“. Diese „verstörende Aktion“ soll „verheerende Folgen“ gehabt haben: Tränen, die manche Eltern zu trocknen versuchten, indem sie den Kindern erklärten, dass „der Pfarrer schon alt und verwirrt ist“. Dieser blieb standhaft: „Glaubensfragen diskutiere ich sicher nicht über die Zeitung.“

Dabei wäre interessant: Ist das Christkind, das so mancher Verteidiger des Abendlandes mit Vehemenz dem Weihnachtsmann vorzieht, nicht irgendwie eine christliche Figur?

Wesensgleich mit Jesus Christus ist es wohl nicht, es hat Merkmale eines Engels, vor allem die Flügel, und man weiß nicht so recht, ob es männlich oder weiblich ist, in unseren Einkaufsstraßen ist es meist weiblich und blond. Dennoch – und das könnte im Sinne feministischer Theologie sein – verschmilzt sein Bild mit dem des neugeborenen Jesus in seiner Krippe, des „herzliaben Kindes“, wie's im oberösterreichischen Weihnachtslied „Es wird scho glei dumpa“ heißt.

Ein wenig verschwimmt es zugleich mit allen Kinderbildern in uns, und man könnte darüber nachdenken, dass just dieses Verschwimmen gut zu einer zentralen Botschaft des christlichen Weihnachten passt: dass Gott zum Menschen, ja, zum hilflosen Kind geworden ist.

Spannend ist es jedenfalls, dass sich ein Pfarrer sich so vehement in den Dienst der raschen Entmythologisierung, der Aufklärung gestellt haben soll. Er tut das vielleicht auch, weil er spürt, dass das allmähliche Schwinden des Glaubens an das Geschenke bringende Christkind eine Vorübung für ein späteres Schwinden des christlichen Glaubens sein kann. Hat der skeptische Physiker Pierre Simon de Laplace womöglich schon als Kind zu Weihnachten „Sire, ich brauche diese Hypothese nicht“ gesagt und das Christkind gemeint?

Dass man über solche Übergänge überhaupt grübeln kann, ist wohl ein Grund dafür, dass Weihnachten ein so populäres Fest ist. Anders als zu Ostern, wo der Osterhase wirklich nur sehr peripher mit dem auferstandenen Gottessohn zu tun hat, gibt es zu Weihnachten einen kontinuierlichen Übergang von nicht christlichen zu christlichen Formen. Man kann es sozusagen in jeder Säkularisierungsstufe feiern, es verkitscht vielleicht das Heilige, aber mehr noch heiligt es den Kitsch. Und man muss es nicht schützen, das tut schon das Christkind. Wutfrei.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2016)

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