„Super, geil und alles mit Ausrufezeichen“!!! (;-))

Der Vorsitzende des deutschen Rechtschreibrates hat ein neues Wort erfunden: „Fetzenliteratur“. Schuld an dieser seien Twitter und SMS.

Nach dem Fetzenschädel, dem Fetzenlaberl und dem schlichten, aber mehrdeutigen Fetzen (für „Nicht genügend“ oder einen gehörigen Rausch) hat es jetzt eine neue Wortkreation ins Lumpenalphabet geschafft: die Fetzenliteratur. Das ist keine literarische Strömung, womöglich verwandt mit der „Trümmerliteratur“, sondern eine Prägung von Hans Zehetmair, dem Vorsitzenden des deutschen Rechtschreibrats, der den Sprachverfall beklagt.

Zehetmair (Jahrgang 1936) sieht die Sprachkompetenz der jungen Menschen, die auf Twitter und in SMS kommunizieren, bedroht: „Eine junge Generation schreibt heute – um ihre Liebe zum Ausdruck zu bringen – keine Briefe mehr, sondern ,HDL‘– ,Hab dich lieb‘.“ Die Lehrer, sagt er, seien auch „Kinder unserer Zeit und – bei allem Bemühen – gibt es auch bei ihnen oft diese Fetzenliteratur: super, geil und alles mit Ausrufezeichen.“

Die Angst um den Verlust der deutschen Sprache ist nicht neu. So veröffentlichte der deutsche Philologe und Historiker Gustav Wustmann 1891 sein Werk „Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Hässlichen“. Als „Brutstätte“ der „Verwilderung“ durch Fremdsprachen sah er die Medien, „genauer gesagt die Tagespresse“. Denn: „An die Stelle einer guten Schriftsprache ist eine hässliche Papiersprache getreten.“ Auch der österreichische Schriftsteller Hans Weigel (1908 bis 1991), gewiss humorvoller als Wustmann, sah die Medien als größte Bedrohung für die Sprache. „Der Journalismus ist schuld“, schrieb er 1974 in „Die Leiden der jungen Wörter“. „Jede Zeit sagt, dass derzeit die Sprache so gefährdet und von Zersetzung bedroht sei wie nie zuvor“, wusste er: „In unserer Zeit aber ist die Sprache tatsächlich so gefährdet und von Zersetzung bedroht wie nie zuvor.“

In unserer Zeit hat nun also Zehetmair die „Fetzenliteratur“ als Bedrohung für die „Sprachkompetenz junger Leute“ ausgemacht. Und auch bei ihm sind die Medien schuld, diesfalls eben Twitter und SMS.

Über Sprachverfall wird wohl geklagt, seit es Sprache gibt – die nie fix und endgültig war, immer borgte und lieh, lehnte und übernahm. „Unsere Zeit ist so schnelllebig geworden“, jammert Zehetmair. Und man kann sich gut vorstellen, dass schon im alten Griechenland den Epigrammatiker vorgeworfen wurde, was Zehetmair den SMS-Poeten vorwirft: „Man nimmt sich kaum noch Zeit, ganze Sätze zu formulieren.“ Ja, da muss man wirklich etwas tun. Und zwar wie wir Twitterinnen sagen, ASAP.

E-Mails an: siobhan.geets@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.