Warum manche Opern-Inszenierungen unhaltbar sind

2019 jährt sich der Tag der Wiener Uraufführung der "Frau ohne Schatten" zum 100. Mal. Dann muss die Staatsoper etwas unternehmen.

Tiefe, so meinte Hugo von Hofmannsthal einmal, müsse man „an der Oberfläche verstecken“. Als treuer Nietzsche-Leser dachte er bei diesem Bonmot wahrscheinlich an des Philosophen Exkurs über die Alten Griechen: Sie waren, heißt es da, „oberflächlich – aus Tiefe!“

Wer die Wiener Neueinstudierung der Oper „Die Frau ohne Schatten“ erlebt, denkt vielleicht an diese beiden Sätze, wenn er auf die Bühne schaut und über der Jämmerlichkeit von Robert Carsens Inszenierungsversuch verzweifelt. Die Diskrepanz zwischen der in enorme Tiefendimensionen gestaffelten Musik und der platten Psychoanalyse-Persiflage der Szenerie ist schwer erträglich, wie am ersten Tag.

Mehr noch: Die Premiere der Inszenierung, die 1999 stattfand, litt auch unter musikalischem Muskelschwund. Derzeit aber agiert man im Haus am Ring wie in guten Zeiten der Richard-Strauss-Pflege, als Karl Böhm noch den Dirigentenstab schwang und man über dem mystischen Dunkel von Günther Schneider-Siemssens Bühnenbildern (zur einstigen Karajan-Inszenierung) nicht ins Grübeln kam. Damals wurde gespielt und gesungen, wie heute gespielt und gesungen wird: mit dem vollen Wissen um die Größe und Bedeutung dieses Werks.

Wer diese mit Bildern zu erklären versucht und nicht mehr zuwege bringt, als zu demonstrieren, dass er ein paar Seiten aus Freuds „Traumdeutung“ gelesen hat, zerrt eines der vielschichtigsten Kunstwerke der Musiktheater-Geschichte von der reichen Fülle des Marktes zwischen die standardisierten Angebote eines kleinen Selbstbedienungsladens.

Es ist schon so: Ein Theatermacher, der für vielfach verrätselte Sprach- und diesfalls auch Musikbilder keine entsprechend vieldeutige szenische Bildwelt erfindet, scheitert wie die dummen Tiere, die Hofmannsthal meint, wenn er in seinem Spiegelgleichnis zum Thema Lyrik kommentiert: „Die Leute suchen gern hinter einem Gedicht, was sie den eigentlichen Sinne nennen. Sie sind wie die Affen, die auch immer mit den Händen hinter einen Spiegel fahren, als müsse dort ein Körper zu fassen sein.“ Die „Frau ohne Schatten“ ist seit 1999 nur in einer lächerlichen Verkleinerungsorgie aus der Werkstatt Robert Carsens, die von der Tiefe, die Hofmannsthal hier „an der Oberfläche“ versteckt hat, nichts ahnen lässt, weil schon die Oberfläche sträflich verfälscht wird, zu sehen.

Wer nun argumentiert, das sei harmlos gegen die jüngste Salzburger Verballhornung, die sich über den hymnischen Schluss auch noch lustig macht, vergisst, dass Wien gerade bei diesem Werk eine Ehrenschuld einzulösen hat. Die „Frau ohne Schatten“ ist das einzige Werk, das Strauss der Wiener Oper zur Uraufführung anvertraut hat. Das war 1919.

Es ist noch Planungsspielraum bis zum Jubiläum. Ihren 100. Geburtstag sollte die „Frau ohne Schatten“ in Wien in einer szenischen Produktion feiern dürfen, die der eben erreichten musikalischen Qualität – siehe Rezension zwei Seiten weiter in dieser Ausgabe – adäquat ist.

Damit wir der großen Aufführungstradition nicht nur in Tönen wieder gerecht werden.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2012)

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