Es ist zum Heulen: Hier kommt die Generation ohne Eigenschaften

Wie viele „Generationen“ waren es schon seit 1955? Egal. Derzeit wird jedenfalls die „Generation Maybe“ debattiert und geklagt: Sie sei so unmündig, dass sie sichere Jobs will.

Vergesst die Generation-Labels, hört auf zu heulen“, überschrieb die „Welt“ unlängst eine „Gegenrede“ zum Thema „Generation Maybe“. Bevor jemand fragt, was das ist, soll hier zuerst ein wenig geheult werden. Allen Ginsberg, „Howl“: „I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked, dragging themselves through the Negro streets at dawn looking for an angry fix...“

Das war 1955. Seither sind etliche Generationen durchs Abendland gegangen, viel mehr, als der soziologischen Definition entspricht: Nimmt man den Generationenabstand (also die Zeit von der Geburt der Eltern bis zur Geburt der Kinder) mit 30 Jahren an, hätten wir seit 1955 gerade zwei Generationen gehabt. Aber wir hatten die Generation X und die Generation Z, die Generation Golf und die Generation YouTube, die Generation Jones und die Generation Clearasil. Nur zum Beispiel. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten wir in den USA eine verlorene Generation, nach dem Zweiten eine besiegte („beat generation“, hatte nichts mit Beatmusik zu tun).

Und heute? Haben wir eine „Generation ohne Eigenschaften“, wie Oliver Jeges in der „Welt“ meinte, ein 27-jähriger Mann, übrigens in Wien geboren, der gern einen majestätischen Plural verwendet. „Wir haben vergessen, wie man Entscheidungen trifft“, schreibt er, „und wir haben es uns in unserer Unentschlossenheit bequem gemacht.“ Darum spricht er, spricht man, sprechen wir von der „Generation Maybe“.

„Jede Generation vor uns wollte die Welt verändern“, klagt Jeges, „was aber wollen wir?“ Er antwortet selbst: „Einen sicheren Job, aber keine 40-Stunden-Woche. Wir sind unsicher. Und wir haben Angst. Wir treten auf der Stelle und werfen uns in eine selbst verschuldete Unmündigkeit.“

Das Neue an diesem Lamento ist, dass es zwei bekannte Lamenti vereint. Erstens das der Wirtschaftsliberalen, die traditionell der Bevölkerung (mit Ausnahme einer kleinen Gruppe risikofreudiger Unternehmer natürlich) vorwerfen, sie habe es sich im „Faulbett“ des Sozialstaats bequem gemacht. Zweitens die Klage, die seit Langem die jeweiligen Forty-somethings über die jeweiligen Twenty-somethings führen: Ach, diese Jugend sei so unkritisch, so passiv, so unpolitisch, so konsumistisch, sie lasse sich alles gefallen, höre langweilige Musik, habe keinen Idealismus, glaube, dass „anything goes“.

Jeges wagte den Sprung und bezichtigte gleich seine eigene Generation. Und ihm wurde bald von einer 60-Jährigen assistiert. „Auf in den Befreiungskampf, Generation Maybe!“, rief „Welt“-Kolumnistin Cora Stephan. Befreien solle sie sich aber nicht von Unterdrückung oder Ausbeutung, nein, sondern vom „Paternalismus“, vom Wohlfahrtsstaat. Denn diese Jugend sei „überbehütet“; dass sie eine „Generation Praktikum“ ohne Chancen auf ein stabiles Berufsleben sei, sei ein Gerücht.

Womit wir endlich beim alten Refrain „Dieser Jugend geht's ja viel zu gut“ angekommen wären. Am schönsten singen ihn doch die Damen und Herren, die alle Vorteile eines intakten Sozialsystems genießen konnten und nun in der Pension gern vom rauen Wind des Marktes schwärmen...

Der Song der Who, der 1965 das „talkin' 'bout my generation“ im Pop etabliert hat, ist bis heute der wildeste, schärfste, beste. Seltsam, wie gut sein Text wieder passt: „People try to put us down, just because we get around / things they do look awful cold / I hope I die before I get old.“

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2012)

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