Zwei Länder, zwei Urteile, ein Kind

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„Fall Oliver“: Hinter dem dramatischen Obsorgestreit, der zur Entführung wurde, steckt eine ziemlich vertrackte Rechtslage.

Wie kann es sein, dass zwei Länder zwei verschiedene Obsorgeurteile fällen – und am Ende eventuell derjenige recht hat, der das Kind auf eigene Faust holt?

Der Streit um Oliver sorgt derzeit für Unverständnis: Vergangenen Dienstag holte der dänische Vater den Buben aus Graz, wo der Fünfjährige seit 2010 mit seiner Mutter lebt, zurück nach Dänemark. Der Vater sieht sich im Recht, denn ihm wurde nach dem Wegzug der Mutter die alleinige Obsorge zugesprochen. Die Mutter, eine Österreicherin, hat wiederum nach hiesigem Recht die Obsorge. Bereits 2011 stellte der Vater einen Antrag auf Anerkennung des dänischen Urteils nach dem Europäischen Sorgerechtsübereinkommen (ESÜ). Er wurde vom Obersten Gerichtshof abgewiesen – unter anderem, weil sich das Kind inzwischen gut integriert habe. Seither stehen sich die Urteile „unversöhnlich“ gegenüber.

Passieren konnte das, weil für Dänemark die „Verordnung Brüssel IIa“ nicht gilt. Diese enthält ein für EU-Länder verbindliches Reglement, das bestimmt, welches Gericht bei Obsorgestreit zuständig ist. Dänemark ist das einzige EU-Land, in dem sie nicht anerkannt wird. Denn die Dänen haben sich aus politischen Gründen Ausnahmeregeln bei der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen ausverhandelt, wie der Europarechtler Walter Obwexer erklärt. Bei der konkreten Verordnung hätten die Dänen aber damals angeblich gern mitgemacht. Er war jedoch nicht möglich.

Stattdessen kommt im Fall Oliver das alte ESÜ zur Anwendung. Es wurde zwar eigentlich schon durch das moderne Kinderschutzüberkommen (KSÜ) ersetzt. Dieses ist der Brüsseler Verordnung nachgebildet, geht über die EU hinaus und wurde auch von den Dänen unterschrieben. Für den aktuellen Fall ist das aber egal, weil das KSÜ in Österreich erst für Fälle ab April 2011 gilt, wie Robert Fucik, Experte des Justizministeriums erklärt. Das ESÜ ist aber nicht die einzige Hürde in der Causa. Der Fall wäre auch nach „Brüssel IIa“ schwierig: Demnach fällt jenes Land die Entscheidung über den Verbleib des Kindes, in dem zuletzt „der gewöhnliche Aufenthaltsort“ war. Ob das Dänemark oder Österreich ist, ist strittig. Denn der Aufenthaltsort kann nur begründet werden, wenn dadurch kein Sorgerecht verletzt wird. Für den Vater war jedoch schon der Wegzug der Mutter eine Kindesentziehung, weil in Dänemark bereits sein Obsorgeantrag anhängig war – für ihn ist die Mutter die Entführerin. Die allerdings sieht das umgekehrt – sowie auch die österreichischen Behörden. Sie erließen gegen den Vater einen Haftbefehl.

Wie es nun weitergeht, regelt das Haager Übereinkommen zur Kindesentführung (HKÜ). Es bestimmt, dass Kinder, die gegen den Willen eines Obsorgeberechtigten weggeholt werden, zurückgebracht werden müssen. Die Mutter wird wohl einen solchen Antrag an Dänemark stellen. Erfolg? Ungewiss. Die Dänen müssen auch die Entführungsvorwürfe beurteilen. Aber erst nach Ostern. Die Polizei will Vater und Sohn über die Feiertage in Ruhe lassen.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2012)

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