London ist anders: Wie Brennpunktschulen plötzlich Erfolge schreiben

So manche Schule in den Londoner Problembezirken wird dank neuer Leitlinien derzeit zur Vorzeigeschule. Auch die heimische Bildungspolitik könnte davon lernen.

Wenn am 3.Mai in London der Bürgermeister neu gewählt wird, werden es auch Fragen der Bildung sein, die über Erfolg oder Misserfolg der Kandidaten entscheiden. Seit Wochen sind die Schulen in den Schlagzeilen der Tageszeitungen und kommen in den Reden der Spitzenkandidaten vor.

Wer die Situation der Londoner Schulen verstehen will, muss London verstehen. London ist anders, könnte man in Abwandlung eines bekannten Slogans für Wien sagen. London ist ein anderes Land, gar ein „Stadtstaat“, meinte zuletzt ein Zeitungskommentator. Tatsächlich gilt London vielfach als die internationalste Stadt weltweit. 300 Sprachen werden gesprochen und 35 Prozent der Londoner sind nicht in London geboren. Zwei Drittel der Babys haben zumindest einen Elternteil ausländischer Herkunft. 48Prozent der Londoner sind „non-white“, also fast die Hälfte. Internationalität hat in London eine lange Tradition und ist im Empire und Commonwealth begründet. Das im Zentrum gelegene „International Students House“ etwa ist Ausdruck dessen: In den 1950ern für Studenten aus dem Commonwealth gegründet, beherbergt es heute Studenten aus 101 verschiedenen Herkunftsländern. Hier ist man stolz auf diese Vielfalt, die anderswo, in klassischen Zuwanderervierteln, viele Probleme mit sich bringt. Während in diesen Vierteln oft die Armutsgefährdung eklatant hoch ist, ist London insgesamt viel wohlhabender als der Rest des Landes und wurde vor Kurzem von der EU gar als die reichste Region Europas ausgewiesen.

Vor diesem Hintergrund lässt sich erahnen, dass die Herausforderungen an das Schulwesen gewaltig sind. Die wohlhabende Schicht sowie die aufsteigende Mittelklasse tendieren immer mehr zu Privatschulen und werden durch die Reformen der konservativen Regierung dabei unterstützt. Hierbei handelt es sich weniger um sogenannte elitäre Public Schools, deren Schüleranteil sich konstant bei etwa sieben Prozent der Schülerpopulation bewegt, sondern um die neu geschaffenen Free Schools und Academies, öffentliche Schulen in privater Trägerschaft, die direkt dem Unterrichtsministerium unterstellt sind.


Mehr als hundert Jahre lang waren die Schulen regional organisiert, jetzt scheint der Trend zur Zentralisierung bei zugleich großer Autonomie nicht mehr aufzuhalten zu sein – wenngleich umstritten. Auch Schulen in sozial problematischen Bezirken schließen sich an. Viele dieser Brennpunktschulen sind in erbärmlichem Zustand und vom Zusperren bedroht. Banden bekriegen einander vor dem Schultor, vor einigen Jahren wurde bei einer Auseinandersetzung sogar ein Direktor erstochen. Die Leistungen sind oft verheerend schlecht, ein hoher Prozentsatz verlässt die Schulen ohne Abschluss, die Lehrerschaft ist demotiviert. Doch gibt es immer häufiger auch hier Erfolgsgeschichten, die Mut machen.

Die Bethnal-Green-Academy in Tower Hamlets in Ostlondon etwa, dem zweitärmsten Bezirk ganz Englands, war noch vor acht Jahren in unbeschreiblich schlechtem Zustand. Eine neue Leitung samt einem erneuerten Lehrerteam hat die Schule so erfolgreich „umgedreht“, dass sie inzwischen als Vorzeigeschule gilt und sogar von Prince Charles besucht wurde. Die Leitprinzipien: Disziplin, höchste Anforderungen an Leistung bei zugleich größter Zuwendung zu jedem einzelnen Kind. Der Unterricht ist ganz auf individuelle Förderung ausgerichtet. Der Erfolg kann sich sehen lassen: Die Resultate bei den zentralen Abschlussprüfungen gehören zu den besten in ganz England; heuer schaffte es erstmals ein Absolvent an die Elite-Uni Cambridge.

Wien ist anders, ganz gewiss. Doch ein Blick nach London würde sich allemal lohnen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2012)

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