Halbe-halbe ist super. Aber amtlich ist es nicht vorgesehen

Kinder brauchen einen Elternteil, der sie „überwiegend erzieht“, meint die Pensionsversicherungsanstalt ganz offenkundig. Aber das ist ein falsches Signal.

Manchmal ist es lehrreich, ans eigene Leben erinnert zu werden. Mit dem Pensionskonto zum Beispiel: Die gesamte Erwerbsbiografie kriegt man da in Tabellenform präsentiert, samt stolzen und peinlichen Highlights. Seltsame Ferialjobs (an die man sich gar nicht mehr erinnert), die erste Anstellung, Zeiten orientierungsloser Selbstversicherung, Kinder, Doppelversicherung samt Doppelbelastung, klaffende Lücken im Ausland – die Versicherungsperspektive hat durchaus ihren Reiz.

Eifrig haben die Sachbearbeiter mittlerweile fast alle Leben der unter 60-Jährigen in diesem Land penibel rekonstruiert. Bloß an einem Phänomen beißen sie sich die Zähne aus. Es handelt sich um etwas Unerhörtes, offenbar noch nie Dagewesenes: Dass nämlich Kinder nicht „tatsächlich und überwiegend von einem Elternteil erzogen“ werden, sondern von Mutter und Vater gleichermaßen, zu gleichen Teilen.

Das kann und darf nicht sein, nicht im Fragebogen, nicht im Pensionssystem und nicht im Leben, zumindest nicht in der sozialversicherungsrechtlichen Variante desselben. Gibt man einen derartigen Sachverhalt wahrheitsgemäß an, bekommt man – in Abständen mehrerer Wochen, die offenbar notwendig sind, um den Schock zu verdauen – immer neue briefliche Ersuchen um Erläuterungen und Ergänzungen: Hier noch eine Bestätigung, dort noch eine Dokumentenkopie, samt ratlosen telefonischen Nachfragen („das muss ich nochmal mit dem Chef besprechen“).

Die Mühen münden allesamt in der Erkenntnis: Nein, eine Aufteilung der Kindererziehungszeiten ist technisch nicht vorgesehen. Man könnte, um denselben Pensionshöheneffekt zu erzielen, zwar – wahrheitswidrig – behaupten, der eine Elternteil habe „tatsächlich und überwiegend“ das eine Kind erzogen, der andere Elternteil „tatsächlich und überwiegend“ das andere; oder behaupten, man habe sich allmonatlich bei der „tatsächlichen und überwiegenden Erziehung“ abgewechselt.

Halbe-halbe jedoch ist unmöglich. Existiert nicht. Kann man nicht machen, heißt es freundlich, aber bestimmt. Würden die Eltern auf dieser Darstellung beharren (immerhin steht „Ich bestätige mit meiner Unterschrift die Richtigkeit der Angaben“ unter dem Formular), würden die Zeiten halt amtlicherseits automatisch allesamt der Mutter zugeschlagen. Quasi eine biologistische Lösung.

Was wie ein nebensächliches Detail ausschaut, offenbart ein Fundamentalproblem der Gleichberechtigungspolitik in Österreich: dass halbe-halbe bei der Kindererziehung in den Köpfen noch immer nicht als Normalfall verankert ist. Dass der Mutter stets, bewusst und unbewusst, ein Mehr an Verantwortung unterstellt und abverlangt wird.

Das hat weitreichende Auswirkungen. In den Beziehungen. In den Familien. Im Alltag. In den Betrieben – bei der Dienstplanerstellung, in der Pensonalentwicklung oder beim Kaffeeküchentratsch. Diese schiefe Erwartungshaltung ist mühsam genug. Muss der Staat sie jedoch noch bestätigen und bestärken?

Nein, das müsste er nicht. Er könnte es sich stattdessen zur Aufgabe machen, die schiefe Ebene unserer Wahrnehmung herauszufordern, indem er bei jeder sich bietenden Gelegenheit halbe-halbe als „normal“, als durchschnittlichen Zielwert definiert. Beim viel zu komplizierten Kindergeld zum Beispiel. Warum heißen die Modelle „20 plus 4“ oder „12 plus 2“? Wie viele Menschen meinen da womöglich tatsächlich, für den Vater seien höchstens 4 oder 2 Monate vorgesehen, wenn die Mama mit ihren 20 oder 12 Monaten fertig ist? Auch der Papamonat ist ein tückischer Begriff – suggeriert er doch, nach einem Monat habe Papa seiner Verantwortung Genüge getan.

„Ein Jahr plus ein Jahr“, „7 plus 7“: Das hörte sich gleich schon ganz anders an – nach halbe-halbe nämlich. Die gelebte Wirklichkeit ändert man mit neuen Namen zwar nicht, zumindest nicht von heute auf morgen. Aber man ändert wenigstens den Maßstab, an dem die gelebte Wirklichkeit gemessen wird.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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