Ein Wunsch fürs Superwahljahr: Glaubt den alten Griechen!

Die Österreicher sind angeblich optimistisch. Haben sie Grund dazu, wenn sie sich daran erinnern, was alles 2012 geschehen ist?

Die Österreicher seien optimistisch, was das Jahr 2013 betrifft, lese ich in den Zeitungen – und was sie melden, ist immer richtig, die paar Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Dreizehn in der Jahreszahl stört meine Landsleute offenbar nicht. Sie sind, wie sich herausstellt, nicht abergläubisch. Das wundert mich. Auf welchen Fakten fußt denn die heimische Zuversicht? Die Schwelle hinein ins Superwahljahr betreten sie ohne Sorge, obgleich manches von dem, was sich jüngst ereignet hat, für solch positives Denken eigentlich nicht allzu viel Grund böte.

Nein, ich will jetzt nicht rekapitulieren, was eigentlich zu Pessimismus Anlass gäbe. Nichts von Korruption, diesmal nicht! Wir wissen ja seit Langem, dass der Begriff Redlichkeit, was immer man darunter verstehen mag, längst zum Fremdwort geworden ist. Auch nichts von politischer Moral, nichts von dem, was früher als „G'hört sich“ geläufig war – ich habe es zur Genüge urgiert. Aber von Vernunft darf man doch reden, oder? Und man darf das Übermaß an Dummheit beklagen, das feststellbar gewesen ist anno 2012. Zu Recht ist ein Buch, das Christian Ortner, Kolumnist dieses Blattes, unter dem Titel „Prolokratie“ veröffentlicht hat, zu Bestseller-Ehren gekommen. Böswillige könnten sogar von Ochlokratie sprechen, von der Herrschaft politischen Pöbels. Eliten? Wos brauch ma des!


Nein, so weit ist es bestimmt nicht. Aber die erwähnte Dummheit greift um sich. Da haben doch – ein Beispiel nur – die Grünen ausgerechnet wenige Tage vor dem weltweit übertragenen Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker die vermeintliche Nazivergangenheit des berühmten Orchesters entdeckt. Dabei haben sie Herbert von Karajan, zweimal NSDAP-Mitglied und doch jüngst als „Jahrhundertdirigent“ bezeichnet, ganz vergessen. Und die angeblichen großen NS-Sympathien des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz. Und die politische Belastung des späteren Iffland-Ringträgers Werner Krauß. Und, und, und! Austro-Masochismus in Reinkultur.

Oder, ein weiteres Exempel mangelnder Vernunft, diesmal der vereinigten Gutmenschen-Gemeinde anzulasten (die freilich, wie man immer wieder feststellen kann, im Rahmen der so häufigen „Diktatur des Einzelfalls“ im ORF ein williges Sprachrohr findet): Warum wurde das instrumentalisierte, von Agitatoren teilweise organisierte Asylanten-Camping in der Votivkirche nicht schnell beendet? Allein, man ist mit jeder Instrumentalisierung schnell bei der Hand in diesen Tagen. Auch der Holocaust ist, wie selbst jüdische Schriftsteller meinen, davon nicht ausgenommen. Damit die Naziverbrechen nicht in Vergessenheit geraten (was sie gewiss nicht tun, nicht tun dürfen), wird in Missachtung der oft zitierten altgriechischen Mahnung „mēdén ágan“ („von nichts zu viel“) durch allzu häufige Wiederholung das Gegenteil erreicht. Die Dosis sei das Gift, schrieb angeblich Paracelsus.

Von nichts zu viel. Auch die alten Römer wussten es: Ne quid nimis. Vielleicht wäre dies ein Wunsch für das neue Jahr. Von nichts zu viel. Sogar die Stadt Wien könnte diesbezüglich lernen. Von „Eventismus“ las man jüngst in der „Presse“ in einem klugen Gastkommentar, der die Verschandelung der Wiener Plätze durch permanente „Verstandelung“ rügte. Er forderte mehr Ruhe, damit die Stadt nicht mit einem Circus Maximus verwechselt werde. Vielleicht erfüllt 2013 diesen Wunsch.


Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2012)

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