Das Burgtheater, der Politclown und das Du im Wahlkampf

Dass uns manche Deutschen Tschüssikowskis nennen, macht nur den Unterschied der Kulturen deutlich.

Sprechen wir über die Sprache – wieder einmal. Der Anlässe gibt es genug – nicht nur, weil das Burgtheater, die erste Bühne des deutschen Sprachraums, wie es heißt (besser: hieß), 125 Jahre alt geworden ist. Aber das Theater, jedes Theater, ist ja eine politische Anstalt, nicht wahr, und das nicht erst seit Claus Peymann. Deshalb darf man auch über den neuen Anschluss berichten, der nun schon viele Jahre lang hörbar ist: über das Ende der akzentfreien Rede an der Burg. Das Idiom von nördlich der Rhein-Main-Linie beherrscht das Haus am Ring, statt „kommen“ wird „komm“ gesagt, und sogar Nestroy und Raimund sind germanischer Mundart unterworfen. Die Zeiten, da man angeblich in Prag und am Wiener Burgtheater das reinste Deutsch gesprochen hat, sind längst passé.

Da wirkt es fast wie eine akustische Erholung, wenn Frank, der Politclown, zu Wort kommt. Es ist nicht allzu oft der Fall, aber stets erheiternd, so etwa, wenn er in einem Mittagsjournal Englisch spricht – sein Akzent ähnelt seinem Deutsch. Aber was soll's, angesichts der Frohbotschaft, dass es doch weitaus weniger politisch unzurechnungsfähige Stronach-Wähler gegeben hat, als er sich errechnete und erhoffte. Und als ich befürchtet hatte.

Indes ist auch anderes aus dem reichen Thema der Politsprache hängen geblieben aus diesem Wahlkampf. Vor allem die erstaunliche Tatsache, dass Werner Faymann und Michael Spindelegger sich nicht scheuten, ihr Du-Wort auch vor der Fernsehkamera zu praktizieren. Nein, vorerst begrüßen sie einander nicht mit „Tschüss“, solcherart den mundartkundigen Robert Sedlaczek unterstützend, der in der „Wiener Zeitung“, dem Organ der Republik, rügend festgestellt hatte, dass in Deutschland die Ösis gelegentlich als Tschüssikowskis bezeichnet werden. Was macht es da aus, dass auch Frank mit allen Diskussionspartnern per Du war?


Aber der Politclown darf mildernde Umstände geltend machen. Nur im Englischen gilt, dass die Anrede per Vornamen nicht dem Du entspricht. Die meisten europäischen Sprachen unterscheiden streng zwischen diesem und dem Sie – mit Ausnahmen. Noch immer geistert die aus der Kaiserzeit stammende Story von dem zum Minister ernannten Sektionschef, der von den hohen Beamten des Hauses verabschiedet wird. Der Älteste beglückwünschte das neue Kabinettsmitglied mit dem gewohnten Ministerial-Du, worauf der Minister bat, infolge seines neuen Ranges von der Vertraulichkeit abzusehen. Der glückwünschende Verabschieder ersuchte daraufhin, noch ein letztes Mal das traute Du verwenden zu dürfen: „Leck mich ...!“, rief er – und ging in Pension.

Ist's auch nicht wahr, so ist es doch gut erfunden. Wahr hingegen ist, dass man in Österreich im Unterschied von anderen Ländern mit dem Du auch in der Politsprache schnell bei der Hand ist. Aber bei den Tschüssikowskis ist eben alles anders. Von Helmut Zilk hieß es, er sei mit mehr Leuten per Du gewesen, als er kannte. Dass die Fernseh- und Radioreporter in Sportreportagen ihre Interviewpartner duzen, ist nichts Neues und auch durchaus verständlich. In der Politik indes kann solches zu Missverständnissen führen. Zum Eindruck der Haberei. Und das ist ja nicht der Fall – sollte man meinen.

Da ist mir lieber, einer siezt den anderen und spricht dabei doch, wie der Schnabel gewachsen ist. Im Café Sonntag etwa, wo der Ober in breitestem Dialekt serviert. Er darf es. Frank, der Politclown, dürfte es nicht. Er versucht es auch gar nicht.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2013)

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