Das Wörterbuch des Politspeak sollte umfangreicher werden

Von "Erinnerungskultur" über "Handschlagqualität" und "Bildungsgerechtigkeit" bis "Augenhöhe" reichen die "Werte".

Es ist hoch an der Zeit, das politische Wörterbuch zu ergänzen. Besser noch: zu erweitern. Die Medien sind schuld. Was würden wir Zeitungsleute tun, hätten wir nicht ein immer größeres Vokabular an der Hand, das dann durchaus geeignet ist, in den Politspeak einzudringen, ja zur politischen Umgangssprache zu werden. Vor allem, wenn es aus gegebenem Anlass aktuell ist.

Da ist etwa das Wort Erinnerungskultur. Der 9.November machte sie wieder zum Anlass. Ein Datum, das in der deutschen Geschichte nicht nur selige Erinnerungen wachruft, wie etwa jene an den Fall der Berliner Mauer. Die Erinnerung, diesfalls ganz ohne Kultur, galt in der NS-Zeit dem ominösen Marsch zur Feldherrenhalle 1923 und dann 1938 dem verbrecherischen Novemberpogrom, das sich heuer zum 75. Mal gejährt hat. Erinnerungskultur! Der heimische Kultursender Ö1 hat den Tag richtigerweise nicht zuletzt in das Zeichen des Gedächtnisses gestellt.

Und dann, wie die Faust aufs Auge eines Opfers, am Abend Musik aus Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. Aus der „Walküre“, wie ich glaube. Auch „Presse“-Lesern ist dies aufgefallen. Aber Erinnerungskultur, nicht wahr, hat ja viele Facetten. Vergessen wir es. Blättern wir weiter im politischen Wörterbuch. Da finden wir beispielsweise immer wieder das Wort „Werte“. Frankie, der Politclown, ist uns noch immer schuldig geblieben, was er eigentlich unter dem Begriff versteht, den er ad nauseam, also zum Erbrechen verwendet. Der Altphilologe Töchterle wird die Übersetzung verzeihen.


Er ist einer der Klügsten in der scheidenden Regierung, dieser Wissenschaftsminister. Wissen es auch jene, die offenbar im Zeichen der Bildungsgerechtigkeit – wieder Politspeak – glauben, auf ihn verzichten zu können? Aber die Gerechtigkeit nimmt unter den politischen Vokabeln überhaupt einen der ersten Plätze ein. Soziale Gerechtigkeit etwa ist längst zum Schlagwort geworden, und deswegen wird ja auch die Langform des Gymnasiums abgelehnt. Irgendein Vöglein hat mir ins Ohr gezwitschert, dass als Bildungs-, Unterrichts- oder Alles-zusammen-Ministerin angeblich Laura Rudas im Gespräch sei. Kann das wahr sein?

Aber da ja auch das Wort „Demut“ in unserem Politwörterbuch neuerdings immer wieder vorkommt, ist nichts unmöglich. Michael Häupl, Demut in Reinkultur, hat sie versprochen, als er 2001 zum ersten Mal die absolute Mehrheit in Wien errang. Können Sie sich erinnern? Auch „Anstand“ scheint im Dictionnaire auf. Eva Glawischnig hat ihn in der ersten Sitzung des neugewählten Nationalrats eingefordert und wahrscheinlich die Adjustierung ihres jüngsten Parteigenossen im Auge gehabt.

Was mich zum Begriff „Debattenkultur“ kommen lässt. In der Tat ein Begriff, der auch als Aufforderung verstanden werden kann. So wie das Wort „Würde“, die auch in der Republik einen Ehrenplatz haben sollte. Dass eine diesbezügliche negative Bestandaufnahme zu sorgenvollen Bestseller-Ehren kam, gibt zu denken. Aber in der Politik ist wirklich manches würdelos. Dafür wird – wieder im Vokabular – „Handschlagqualität“ gerühmt, noch dazu, wenn sie in „Augenhöhe“ funktioniert.

Dass wir in unserem Wörterbuch dann auch den Begriff „Mobbing“ finden, wollen wir folgerichtig vergessen. Da fallen einem am Ende nämlich als Opfer die Namen Fekter, Karl und Berlakovich ein. Allein: Alles verstehen heißt alles verzeihen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
Emails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2013)

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