Die City als Notstandsgebiet EU-Förderung für die Vernunft?

Wenn der Ring wirklich permanent für den motorisierten Verkehr gesperrt werden sollte, wirkt er wie eine Garrotte.

Nun hat also auch der Verfassungsgerichtshof, immerhin die höchste Instanz der Republik, den Autogegnern und ihren Gesinnungsgenossen recht gegeben: Eine tageweise Sperre der Ringstraße ist möglich. Vorerst nur eine tageweise, wohlgemerkt. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Es fehlt ja an Fußgängerzonen in dieser Stadt, wie wir wissen. Auch eine der wichtigsten Geschäftsstraßen, als Mahü bekannt, ist da nur ein Tropfen auf die heißen Steine der Gehsteige gewesen, wiewohl sie ohnehin zu den breitesten der Stadt gehören.

Die Ringstraße freilich ist mit der Mariahilfer Straße nicht zu vergleichen. Gewiss, schon der alte Kaiser ist von Schönbrunn täglich über sie in die Hofburg gefahren – nicht zuletzt deswegen scheint sie von Gebäuden gesäumt, die imposant wirken. Aber der Ring bleibt der Prachtboulevard der Metropole. „Es ist mein Wille!“ Franz Josef ließ die Stadtmauern schleifen und an ihre Stelle die, wie viele meinen, schönste Straße der Stadt bauen. Marlene Streeruwitz behauptet zwar, das Motiv sei ein rein militärisches gewesen, aber wir müssen uns ja nicht mit jedem Unsinn befassen, auch wenn er von einer Schriftstellerin stammt.

Die Wiener und vor allem die Bewohner der City sind stolz auf den Ring. Aber ihn zu „entmotorisieren“ wäre gleichbedeutend mit der Sperre der Champs-Élysées in Paris. Tut nichts, argumentieren Pessimisten, denen das Stadtbild noch am Herzen liegt. Die Ringstraße und die sie umgebenden Plätze sind ohnehin nicht mehr das, was sie einmal waren.


Der Heldenplatz etwa gleicht einem Großteil des Jahres über einer Mischung von Prater und Disneyland. Dass im Volksgarten der Flieder blüht, weiß man nur aus Gerüchten. Der Rathausplatz bietet, wenn er nicht gerade Ziel der jährlichen sozialistischen Mai-Demonstration ist, Raum für allerlei G'spaß. Vor Kurzem war dort wieder zu erleben, wie sich die Steiermark ihr Auftreten in der Bundeshauptstadt vorstellt. Die Trinkhütten waren zu Recht umlagert, nicht zuletzt von Roma-Gangs, die Gläser stibitzten und bei der Rückgabe den Einsatz verlangten.

Aber die Polizei kann ja wirklich nicht überall sein. So konnte es vorkommen, dass in der Vorwoche am helllichten Tag eine Dame während des Einsteigens in einen Ringwagen von drei Frauen überfallen wurde, von denen eine ihr die Handtasche zu entreißen versuchte. Das Opfer wehrte sich, die Täterinnen ergriffen die Flucht. Festzustellen, dass sie an der Aufmachung und am Akzent erkennbare Ausländerinnen waren, rührt bereits an Rassismus – und da sei Gott oder Allah vor.

Die City leidet, kann man hören und lesen, an Bevölkerungsschwund. Das Durchschnittseinkommen der Menschen dort ist angeblich höher als in anderen Bezirken, aber sie werden immer weniger. Der Ring (während des City-Marathon-Laufs hat man es wieder gespürt) wirkt als Garrotte. Er würgt immer häufiger. Weiß das der Verfassungsgerichtshof? Die City wird zum Notstandsgebiet der Vernunft, weil sie immer häufiger zur Sperrzone wird. Man kann dann weder hinaus noch hinein. Welche Folgen eine Ringsperre wegen des zu erwartenden zusätzlichen Verkehrsstaus für den CO2-Ausstoß hätte, kann man sich vorstellen.

Sperre des Rings? Wehret den Anfängen! Sonst müsste am Ende noch eine EU-Förderung wider die Unvernunft erbeten werden. Und für die Erhaltung eines Weltkulturerbes.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
Emails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.