Sind wir wirklich von Sinnen? Was Bestseller lehren können.

Nach Sarrazin nimmt sich auch Akif Pirinçci die deutsche "political correctness" vor - und kein Blatt vor den Mund.

Man hat ihn Gott sei Dank festgenommen, den Räuber, der im Laufe der letzten Wochen sieben junge Frauen überfallen hat. Er hat sie mit einer Eisenstange niedergeschlagen und teilweise lebensgefährlich verletzt. Er war ein illegal nach Österreich eingereister und ebenso illegal hier wohnender Mann mit – nun, sagen wir: mit Migrationshintergrund. Diese Bezeichnung trifft doch wohl auch auf Verbrecher zu, oder?

Nein, es war kein Türke, auch kein Araber. Es war ein vorbestrafter Rumäne. Die diversen NGOs, für die richtigerweise nicht nur das Opfer, sondern auch der Täter ein Mitmensch ist und demnach mit allen Rechten eines solchen ausgestattet, können aufatmen. SOS-Signale sind diesfalls unnötig. Allem menschlichen Ermessen nach wird der Täter im Kerker landen. Allem menschlichen Ermessen nach. Der hohe Polizeibeamte, der mir vor vielen Jahren einmal anvertraut hatte, die Exekutive fange die Verbrecher und die Gerichte lassen sie dann wieder frei – der dürfte in diesem Fall wohl unrecht haben. Es sei denn, der Räuber hatte eine unglückliche Kindheit. Dann kann er sich auf mildernde Umstände berufen.

Allein, wenn Thilo Sarrazins „Der neue Tugendterror“ kurze Zeit nach seinem Erscheinen ausverkauft war, beweist dies eben doch, dass diesfalls die Deutschen nicht allzu viel mit der politischen Korrektheit am Hut haben. Und wenn jetzt der aus der Türkei stammende Akif Pirinçci unter dem Titel „Deutschland von Sinnen“ in die gleiche Kerbe schlägt, dann muss offenbar doch ein Unterschied bestehen zwischen dem, was Politik und Medien fordern, und dem, was ein Großteil der Menschen denkt. Dieser Unterschied ist, scheint es, beträchtlich.


Der türkische Schriftsteller, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und es als sein Land betrachtet, hat sich bisher als Krimiautor einen Namen gemacht. Sein erstes Sachbuch nimmt sich in punkto Vokabular kein Blatt vor den Mund. Sein Thema ist „der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“, und Pirinçci lässt, um in seiner Diktion zu bleiben, die Sau raus. „Mit dem Arschloch sieht man besser“ lautet etwa eine Kapitelüberschrift, und der irre Kult, von dem er berichtet, ist nicht zuletzt einer des wildgewordenen Geschlechtsverkehrs. Es wird in Pirinçcis Buch, pardon, auf fast jeder Seite „gefickt“. Sic!

Aber es ist der jüngste Bestseller im deutschen Buchhandel und auch in Österreich fast schon ausverkauft. Warum eigentlich? Gewiss nicht wegen der unverblümten – sagen wir ruhig: ordinären – Sprache. Sie orientiert sich offenbar nicht nur nach den Hinweisen der politischen Correctness, sondern nach allenfalls anfechtbaren, aber doch vielfach dem öffentlichen Geschmack entsprechenden Geboten. Und diese zeigen, dass die Integration viele Facetten hat. Nicht alle sind leicht verständlich.

Nein, nicht wieder als Beispiel „Mohr im Hemd“ anführen! Aber es fiel mir beispielsweise auf, dass der Sprecher, der die Heiligsprechungen in Rom kommentierte, daran erinnerte, dass der erste Wien-Besuch Johannes Pauls II. anno 1983 stattfand, um nicht zuletzt das 300-jährige Jubiläum des Sieges über die Türken zu feiern. Der polnische König Sobieski war damals einer der Retter der Donaumetropole vor den Ottomanen.

Bisweilen wiederholt sich die Geschichte nicht. Gott sei Dank war der Räuber von Favoriten kein Türke, sondern ein Rumäne.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2014)

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