Darf ich anderer Meinung sein? Gedanken eines Bildungsbürgers

Während ORF-Generaldirektor Wrabetz eine neue Leitung für Ö1 sucht, sollte er etliche Überlegungen anstellen.

Es gibt, las ich am letzten Mittwoch in dieser Zeitung, ein „Tauziehen um den Ö1-Chef“. Das interessiert mich. Als Bildungsbürger – jawohl, ich bin ein solcher und ich bin stolz darauf, weil ich glaube, halbwegs gebildet zu sein und zudem das, was man einen Bürger nennt –, als Bildungsbürger also warte ich gespannt darauf, was Generaldirektor Alexander Wrabetz (der, wie er einmal zu erkennen gab, von Bildungsbürgern nicht allzu viel hält) entscheiden wird. Sein Radiodirektor empfiehlt den Feature- und Literaturchef, der Redakteursrat ist für die Administrationschefin.

Es kann nur besser werden, sage ich als bildungsbürgerlicher Ö1-Hörer. Vielleicht werden unter der neuen Leitung die Quoten besser. Aber nicht alles ist der alten anzulasten. Die Medienkritik kümmert sich nicht viel um das Radio. Wir leben zwar in einer Ära der Mediokratie, aber Hoi Polloi, die Menschen draußen, wie Bruno Kreisky gesagt hätte, ertragen es willenlos.

Wrabetz will nicht entscheiden, bevor er nicht mit den Genannten und etlichen anderen möglichen präsumtiven Spitzenleuten gesprochen hat, die beim Hearing nicht zum Zug gekommen waren. Es sei mir deshalb gestattet, als Bildungsbürger (wie oft habe ich das jetzt schon erwähnt?) die Wartezeit durch ein paar Wünsche aufzulockern, die einem steten Ö1-Hörer erlaubt sein sollen. Wobei Unveränderliches nicht gemeint ist. Das links-grüne Biotop habe ich zu ertragen gelernt. Stiftungsrat und Publikumsrat unter roter Leitung – sei's drum.


Aber da fällt mir beispielsweise eine Achse „Falter“ – Ö1 auf. Wenn der sogenannten Stadtzeitung immer wieder Fakten „zugespielt“ werden, unterliegt das erste Radioprogramm jeweils der „Diktatur des Einzelfalls“, und wenn der Chefredakteur dann noch dazu eine Stunde lang als Musikexperte auftritt, liegt der Schluss nahe, dass es journalistische Beziehungen gibt. Na und?

Es spielte sich Ähnliches ja auch im „Café Sonntag“ ab, wenn etwa eine Käthe Kratz (wer kennt sie?) von Mercedes Echerer interviewt wird und halblinke Sottisen von sich gibt. Wenigstens war sie mit Frau Echerer nicht per Du – ausnahmsweise.

Auch über die „Gedanken für den Tag“ mache ich mir Gedanken, weil diese Gedanken oft mit Gedenken verwechselt werden – ist da nicht aus irgendwelchen Gründen zu viel Ehr offeriert für Leute, deren Bekanntheitsgrad mitunter nicht gerade groß ist? Andererseits ist auch die Reihung der Nachrichten in den Informationssendungen gelegentlich kritikwürdig. Müssen wirklich (Ausnahmen bestätigen die Regel) fade, wiedergekäute Inlandsfakten vor interessanten Auslandsmeldungen gebracht werden – und das wiederholt?

Und noch etwas: Dass politische Interviews immer häufiger einer Inquisition gleichen, ist leider längst gebräuchlich. Dass freilich die Antworten von den Interviewern unterbrochen werden, wenn sie deren Meinung nicht entsprechen, ist ungehörig. So wie vieles anderes vor allem eben in der Ö1-Information. Treffend formuliert es eine Leserin ausgerechnet im „Standard“: „Ich möchte für keine einseitigen ORF-Diskussionen zahlen müssen, deren Teilnehmer sich einzig im Grad der Zustimmung unterscheiden [...] Ich möchte nicht mehr betreten den Kopf einziehen, weil ich anderer Meinung bin.“

Vielleicht ist das mit eine Entscheidungshilfe für den ORF-Generaldirektor. Obwohl sie möglicherweise von einer Bildungsbürgerin stammt – und Alexander Wrabetz von Bildungsbürgern nichts hält.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2014)

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