Gendergerechtigkeit und Macht: Du sollst nicht klittern!

Vom Shitstorm, der jetzt auch durch das Sommerloch pfeift, vom Niedergang der Eliten und von zu viel Anglizismen.

Der Shitstorm bläst wie er will. So lautete der Titel meiner letzten Kolumne. Ich darf heute ergänzen: Der Shitstorm bläst nicht nur wie, sondern vor allem auch wo er will. Vorzugsweise in den Printmedien. Und er ist seither zum sommerlichen Gewittersturm geworden. Nicht nur das saudumme Binnen-I hat er Gott sei Dank zum Wanken gebracht. Er pfeift auch durch das Sommerloch, das es heuer fast nicht mehr gibt. Dafür erleben wir ergänzende Gebote, die diesmal mit Religion nichts zu tun haben: Du sollst nicht dumm sein. Und dann noch: Du sollst dir einen klaren Kopf bewahren. Und schließlich vor allem: Du sollst nicht klittern.

Und dich vor allem der „Geschichtsklitterung“ enthalten. Ich wage es aber, diesem Begriff einen anderen an die Seite zu stellen: Sprachklitterung. Von beidem, der Geschichtsklitterung und der Sprachklitterung, soll hier die Rede sein. Letztere hat natürlich mit dieser unsäglichen „Feminisierung“ des Deutschen, nur des Deutschen, zu tun. Erstere indes ist nicht minder dumm.

Dass so viele kluge Menschen den Mut gehabt haben, in offenen Briefen an die Frauenministerin („Dead woman walking“) und den Wirtschafts- und Wissenschaftsminister (Nostalgie ist, an Töchterle zu denken) falsche Gendergerechtigkeit anzuprangern, freut mich. Mitterlehner hat ausweichend geantwortet, Heinisch-Hosek erwartungsgemäß ablehnend. Kaum eine Zeitung, kaum ein privates Schriftstück hält sich an ihren Wunsch. Kluger ziviler Ungehorsam? Der Rücktritt der Ministerin ist seit vielen Monaten überfällig. Aber: „Mir lass‘n uns kan ausseschiassen!“, sagte mir vor Jahren ein SP-Spitzenpolitiker. Und auch „kane“.

So kann Marlene Streeruwitz auch unter dem Titel „Verschönerung des Niedergangs“ behaupten, bei der Debatte ums Binnen-I „geht es um den Machtverlust einer Elite“. Im „Standard“ schrieb sie: „Hegemonie möchte ihren Niedergang noch einmal schnell durch einen kleinen Sieg verschönern. Alte Eliten werden nicht gerne alt und wollen sich etwas einreden.“ Ich will mir einreden, dass dies hanebüchener Unsinn ist.

Soweit vorerst zur Sprachklitterung. Die Geschichtsklitterung wiederum hat sich im Parlament abgespielt. Der Vorarlberger Grün-Abgeordnete Dr. Harald Walser, Historiker und Gymnasialprofessor für Geschichte, hat das Wort verwendet, als er in einer parlamentarischen Anfrage an Verteidigungsminister Klug von der „unsäglichen Website der Militärseelsorge mit ihrem problematischen Geschichtsbild“ sprach, die „wesentliche Merkmale einer gängigen identitätsstiftenden österreichischen Geschichtsklitterung und -fälschung“ enthalte. Es ging (wie denn auch nicht?) um die Krypta im Heldendenkmal: „Ein militärischer Sieg wird umgedeutet zu einem Triumph des christlichen Abendlandes gegen den Islam. Der Erste Weltkrieg wird als großes Ringen bezeichnet, weder die Kriegsschuldfrage noch das Ziel dieses ,Ringens‘ werden auch nur angedeutet.“

Prompt nahm der Verteidigungsminister in militärischem Gehorsam die kritisierten Passagen aus der Website. Man braucht ja die Grünen, auch wenn ihre Sicht der Geschichte einigermaßen skurril ist. Dazu passt freilich ein Kommentar in der „Wiener Zeitung“, wonach die Gefahr von Deutschtümelei und somit NS-Gedankengut auch mit der Abneigung gegen Anglizismen zusammenhänge. In der Tat: Der Shitstorm bläst derzeit aus vielen Richtungen. Leider reißt er auch die Vernunft mit sich.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2014)

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