Zsupán, der Nichtleser, ist zum Glück nur eine Operettenfigur

Bis zum Nationalfeiertag haben die Österreicher Gelegenheit, sich an Spitzwegs "Bücherwurm" ein Beispiel zu nehmen.

Der Geruch steckt mir auch heute noch in der Nase; es war ein durchaus angenehmer. Es war einer, den man auch heute noch in Antiquariaten spürt. Wo sind die Zeiten, da viele von ihnen gleichzeitig Leihbibliotheken waren? Vier Wochen lang durfte man einen geliehenen Band behalten, auf der Innenseite des Deckels ist jeweils das Datum eingestempelt worden. Manchmal musste ich warten, weil das Gesuchte gerade entlehnt war. Die Bibliothekarin riet dann zu einem anderen. Sie war belesen, wie die meisten ihrer Kolleginnen auch.

An alles das, auch an den Geruch viel gebrauchter, viel gelesener und doch nicht vergilbter Bücher erinnere ich mich, wenn ich erfahre, dass ab heute bis zum 26. Oktober, also eine volle Woche lang, „50 Millionen Bücher“ auf mich warten. „Österreich liest.“ Jedenfalls sieben Tage lang. Der Büchereiverband Österreichs lädt ein. Dass die Aktion wenige Tage nach dem Schluss der Frankfurter Buchmesse stattfindet, war beabsichtigt. Immerhin gilt es, der „digitalen Demenz“ entgegenzuwirken. Selten noch habe ich einen so treffenden Titel gesehen, von einem Autor, der erfreulicherweise wie ich der Meinung ist, das gedruckte Wort sei dem elektronisch übermittelten noch allemal überlegen.

Ich will fair sein. Die Aufforderung „Besuchen Sie eine von tausenden Literaturveranstaltungen“ meint gewiss auch solche, in denen E-Books eine Rolle spielen. Ich aber halte es mit jenen, in denen man blättern kann – die gedruckten, die meiner felsenfesten Überzeugung nach ebenso wenig aussterben werden wie die Printausgaben der Zeitungen. Man muss ja nicht wie Spitzwegs „Bücherwurm“ unbedingt auf eine Leiter steigen, um ein Buch zu suchen.

Zsupán, der Schweinezüchter aus dem „Zigeunerbaron“, konnte noch von sich sagen, dass nicht nur das Schreiben, sondern auch vor allem das Lesen nie sein Fall gewesen sei. Er ist eine Operettenfigur. Österreich liest. Aber nur so schlecht und recht, wie man den neuesten Untersuchungen entnehmen kann. Zusammenhängende Sätze sind schwierig, heißt es dort. Allein, das Fernsehen zeigt uns, dass alles nicht wahr ist. Die Österreicher und Österreicherinnen lesen viel.

So zeigen es jedenfalls die gefilmten Interviews. Hinter den Gesprächspartnern, egal welchen Berufs, sind fast immer gefüllte Bücherregale zu sehen – passen Sie einmal auf! Soll dies ein Hinweis auf die Bildung des Interviewten sein oder nur ein passender Bildabschluss? Bei einem Fernsehinterview in unserer Wohnung platzierte mich der Kameramann vor Büchern. Sie strömten Ruhe aus, sagte er.

Deswegen war es in meinen Augen fast eine Infamie, als vor Jahren Erwin Pröll vor leeren Buchbrettern interviewt wurde. Man merkte die Absicht und war verstimmt. Man war es umso mehr, als der niederösterreichische Landeshauptmann scherzte, er habe in seinem Leben nur Karl Mays „Schatz im Silbersee“ gelesen. Das ist nicht wahr. Und selbst wenn es wahr wäre, hat es ihn nicht gehindert, mehrmals die absolute Mehrheit zu erringen.

Bildung ist ja kein Hindernis, in der Politik Karriere zu machen – Ausnahmen bestätigen die Regel, und sie sind Gott sei Dank selten. Deswegen auch hoffe ich bis zum Beweis des Gegenteils, dass der Fernseh-Bildhintergrund einen Hinweis auf die Geistesverfassung des oder der Befragten liefert. Denn nochmals: Österreich liest. Und dies, wenn der Schein nicht trügt, nicht nur in dieser Woche. Leider trügt er bisweilen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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