Willkommenskultur für Wichtige: Conchita, Franziskus und Stenzel

Von einer Rangliste „Prominenter“ und Promis, zwei Parteitagen und der Gefahr einer Verpraterung der City.

Wissen Sie, was man unter Willkommenskultur versteht? Ich habe es nicht gewusst. Ich weiß, dass es viele Arten des Kulturbegriffs gibt – von der Gesprächskultur bis zur Esskultur. Aber Willkommenskultur? Jüngst habe ich das Wort im Radio gehört, natürlich im Zusammenhang mit dem Asylantenproblem. Nein, diesmal war nicht die Diktatur des Einzelfalls am Werk, wie bei dem jungen Mann aus Bangladesch, der angeblich achtzehn Jahre lang auf einen zustimmenden Asylbescheid gewartet hat. Der Begriff Willkommenskultur hatte mit einer anderen Frage zu tun.

Ich gestatte mir eine Spur von Medienkritik. Willkommenskultur? Dann willkommen auch im Club der 200 wichtigsten Österreicher. Ich habe den Beitrag aufgehoben, den eine „Qualitätszeitung“ am Nationalfeiertag gebracht hat. Immerhin: Der Bundespräsident steht an elfter Stelle, überholt von Faymann (4) und Mitterlehner (5). Auch Sebastian Kurz hat unter den 200 Wichtigsten das Staatsoberhaupt verdrängt. Aber auf Platz eins – Sie werden es erraten haben – steht unangefochten Conchita Wurst, gefolgt von Niki Lauda und Marcel Hirscher. Willkommen, wenn es darum geht, Österreichs Willkommenskultur zu ergründen!

Willkommen auch in der politischen Kultur der Parteitage. Reinhold Mitterlehner ist mit 99,1 Prozent der Stimmen zum ÖVP-Obmann gewählt worden. Zu Recht: Er hätte Michael Spindelegger längst ersetzen sollen. Werner Faymann fürchtet sich. Beim letzten SPÖ-Parteitag hat er das schlechteste Ergebnis einer Obmannwahl seit 1945 eingefahren. Aber er hat vorgesorgt und die Wahl vor der Debatte angesetzt.

Willkommenskultur? Willkommen im neuen Familienbegriff, sanktioniert auch von Papst Franziskus und einem Teil der Bischöfe. Ein Paar, das einander liebt, muss weder verheiratet noch verschiedenen Geschlechts sein. Sogar Kardinal Schönborn hat nichts gegen eine solche Verbindung. Aber sie sei natürlich kein Sakrament, hieß es in der Bischofssynode. Willkommen in einer liberaleren Kirche!


Allein, wo es Willkommenskultur gibt, muss es auch Verabschiedungskultur geben, und demnach auch Unkultur. Ursula Stenzel, die nacheinander auf drei Gebieten überaus erfolgreich war, ist von ihrer Partei geschasst worden. Sie war ORF-Moderatorin, ÖVP-Spitzenvertreterin im EU-Parlament und dann Bezirksvorsteherin in der prestigeträchtigen Wiener City. Mag sein, dass sie eine sogenannte Querdenkerin war – in einer Partei, der es, wie es gelegentlich den Anschein hat, an Nachdenkern mangelt. Unter den Wiener Bezirksspitzen war sie eine der Rührigsten. Dass sie unter anderem verlangt hat, den ersten Bezirk nicht zu einem Wurstelprater verkommen zu lassen, den Stephansplatz inklusive – das wird ihr in Wien hoch angerechnet.

Ihr Abgang wird von den Wienern und im Besonderen von den Medien mit äußerster Skepsis registriert. Ursula Stenzel, wiewohl 69, hat die Absicht gehabt, im Bezirk noch einmal für die ÖVP zu kandidieren. Immerhin hat sie im Verhältnis zum Gesamtabschneiden der ÖVP in Wien der City einen beträchtlichen Wahlerfolg dieser Partei gebracht. Markus Figl, der neue Bezirksvorsteher, wird dies nicht wiederholen, auch wenn er der Großneffe des legendären Leopold ist. Der Name bürgt nicht unbedingt für Qualität. Sollte in Wien das Wahlergebnis der ÖVP nur mehr einstellig werden? Willkommenskultur für Nichtwähler?

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2014)

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