#stolzdrauf am Adventbeginn auch ohne Migrationshintergrund

Sind die "letzten Tage der Menschheit" letzte Tage der Vernunft - oder ist Österreich doch ein gutes Land?

Man darf wieder stolz auf Österreich sein. Die Raute kündigt es an – „#stolzdrauf“ ist das Motto einer Kampagne, die nicht nur mit Hilfe der Social Media unter die Leute gebracht wurde, sondern auch durch Inserate. „#stolzdrauf“: Das richtet sich in erster Linie an Menschen „mit Migrationshintergrund“ und will sie dazu bringen, ihre neue Heimat zu schätzen. Was offenbar notwendig ist, vor allem, wenn es sich um Türken handelt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Stolz drauf? Die Aufforderung könnte auch an die „autochthonen“ Österreicher gerichtet sein (ich bitte um Entschuldigung, dass ich das dumme Binnen-I nicht verwende, sondern genderweise alle Menschen in einen Topf werfe), die sich mit der sogenannten Leitkultur identifizieren können. Die also der Meinung sind, man könne auf dieses Land stolz sein – und nicht nur, weil es gelegentlich Triumphe im Skisport einzuholen in der Lage ist.

„#stolzdrauf“ – in der Tat. Es gibt Motive für diesen Stolz. Gerade in diesen Tagen ist es notwendig, darauf hinzuweisen, da es ebenso aktuell wie opportun zu sein scheint, das Gegenteil zu behaupten. Eines der jüngsten Beispiele war die Bearbeitung der „Letzten Tage der Menschheit“ im Burgtheater, mehr als vier Stunden lang und mit Karl Kraus, dem ursprünglichen Autor, nicht zu verwechseln. Er hat den in Dramaform geschriebenen Roman als nicht aufführbar bezeichnet. Georg Schmiedleitner hat es gewagt, ihn dennoch bühnengerecht zu bearbeiten. Der Beifall war mäßig, auch als ich die Aufführung sah, vor ein paar Tagen und gerade, als die Außenminister der wichtigsten Staaten in Wien zusammentrafen; dass das Treffen ergebnislos war, ist freilich auch wieder eine andere Geschichte.


Die letzten Tage der Menschheit“ waren in der Inszenierung des Karl-Kraus-Werks im Burgtheater voll von Bösartigkeit. Das Stück war, nehmt alles nur in allem, anti-österreichisch auf die Bühne gebracht – nicht nur, weil ausdrücklich und immer wieder von Kriegsverbrechen der k.u.k. Armeen im Ersten Weltkrieg die Rede war. Der schwache Beifall war erfreulich. Wo sind die Zeiten, da in den Tagen um Allerheiligen der „3.November 1918“ gespielt wurde, dieses zu Herzen gehende Stück von Franz Theodor Csokor, das den Zerfall der Monarchie zeigt, personifiziert in Offizieren aus den Ländern und Nationalitäten des Reichs? Der Applaus war stets ebenso groß wie eindrucksvoll.

Und doch: stolz auf Österreich auch anno 2014 und zu Beginn der Adventzeit, die eine der Besinnung sein soll. Stolz auf Österreich, auch wenn es Gründe gäbe, dies nicht zu sein. Stolz auf Österreich, auch wenn „die Menschen draußen“ (©Bruno Kreisky) oder die oft zitierten „hoi polloi“ (© antikes Athen und von den Amerikanern gern so genannt) jene Lügen strafen, die behaupten, das Volk sei klüger als jene, die sich als dessen Repräsentanten ausgeben.

„Die letzten Tage der Menschheit“ könnten dann auch als die letzten Tage österreichischer Vernunft betrachtet werden. Etwa, wenn man toleriert, dass der Wählerentscheid gegen das Berufsheer durch die Aushungerung der Miliz ins Gegenteil verkehrt wird. Oder wenn man die Stronach-Restanten noch ernst nimmt. Allein, es hat Menschen gegeben, die dies getan haben.

Es ist trotzdem kein Grund vorhanden, Österreich nicht zu lieben. „#stolzdrauf“ gilt nicht nur mit Migrationshintergrund. Grillparzer hatte recht: Es ist trotz allem ein gutes Land.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2014)

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