Conchita Wurst in Ostarrichi - Eintritt verboten, Achtung, Stufe!

Seit eine Kunstfigur mit Frauenkleidern und Bart zu einem nationalen Symbol wurde, ist Umdenken nötig.

Aus den Auslagen der meisten Wiener Bank-Austria-Filialen sind die Plakate mit dem Star des kommenden Eurovision Song Contests längst verschwunden. Täusche ich mich – oder tritt Conchita Wurst auch in der Fernsehwerbung nicht mehr so oft auf? Zu vermehrtem Konsum hätte das bartgezierte Wesen in Frauenkleidern animieren sollen. „Wesen“ in der Tat – wie anders soll man die Gestalt nennen, die derzeit populär, aber doch nicht jedermanns/jederfraus Sache ist? „Conchita“ nennen die Spanier im Slang diminutiv das weibliche Geschlechtsorgan. Und dazu passend „Wurst“, nicht wahr – da kann sich jeder Mann seinen Reim darauf machen, oder?

An die einschlägigen Gedankenbrücken der Spanischsprechenden haben die Österreicher (man verzeihe den Verzicht auf das Gendern) nicht gedacht, als sie Conchita zum neuen Nationalsymbol ihres Landes erkoren haben. Ideologische Kunstfiguren zu sein, sich im internationalen Wettbewerb der politischen Meinungen nicht festlegen zu wollen, gleichzeitig halb leer und halb voll zu sein, wird ihnen von Missgünstigen vorgeworfen. Die Stimmenthaltung, meint man, ist in Austria populär. Als Beweis darf immer wieder eine Lifttür im Bundeskanzleramt angeführt werden, auf der zu lesen stand: „Zutritt verboten. Achtung, Stufe!“

Demnach hat man es schwer, in diesem Land nach Vorbildern zu forschen, nach Beispielen, die man den Jungen beiderlei Geschlechts vorstellen möchte: Macht es wie sie, dann repräsentiert ihr euer Land, und zwar im besten Sinn. Sind wir Österreicher ja doch in der ganzen Welt angesehen!


Ist es allzu gewagt, in diesem Zusammenhang an das „Haus der Geschichte“ zu denken, das nun nach langen Debatten und Querelen endlich Gestalt anzunehmen scheint – wenn auch nur als Idee? Mag sein, dass es symptomatisch ist, den Platz des Völkerkundemuseums, das nun Weltmuseum heißt, zugunsten jener Schauräume einzuschränken, die künftig irgendwann einmal der österreichischen Historie Platz bieten sollen.

Man wird dieses neue Museum durch die Nationalbibliothek betreten können. Wer freilich glaubt, dass hier jenes ausgestellt werden soll, das man gleichsam als geschichtliches Erbe bezeichnen könnte, der irrt. Die Frage, wann österreichische Geschichte beginnt, bedarf nicht erst heute einer Klärung. Die aus der Politik kommenden Väter des neuen Museums meinen, dass dies 1918 oder, wenn es sein muss, 1848 der Fall sei. Also die Republik, oder, wenn man partout will, die bürgerliche Revolution.

Ist das wirklich alles, darf das alles sein? 1946 dachte man noch anders. Damals wurden „tausend Jahre Österreich“ gefeiert, Ostarrichi war so etwas wie ein Kennwort allgemeinen historischen Bewusstseins, und dieses wieder war aus der Zeit heraus zu verstehen: Sieben Jahre lang hatte es zum ersten Mal in der Geschichte dieses Land nicht gegeben.

Heute darf es sich stolz zu den wohlhabendsten des Planeten zählen, und Conchita ist sein Aushängeschild – bis zum nächsten Song Contest. Und bis zu dem Zeitpunkt, da sich die Meinung durchgesetzt haben wird, dass, wer an Österreich denkt, nicht unbedingt etwas im Auge haben muss, das, wie gesagt, weder halb voll noch halb leer ist. Gleichsam alles von nichts. Eben Conchita Wurst. Ein Symbol unserer Zufriedenheit?

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2015)

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