Ein Diamant als Urgestein: Als Wien Zeitungsstadt war

Der Tod des „Krone“-Kolumnisten Ernst Trost lässt Gedanken über den heimischen Printjournalismus zu.

Man nennt sie oft auch Urgestein, diese alten Schlachtrösser des Journalismus. Urgestein: Laut Wikipedia bedeutend, „dass etwas oder jemand bereits ganz am Anfang eines Vorganges zugegen war und/oder dass sich sehr früh erfolgte Vorgänge darauf gründen“. Noch einmal Urgestein: geologische Fundstücke, bisweilen eine Goldader verbergend oder einen Diamanten. Ein letztes Mal Urgestein: oder darf man doch „Schlachtross“ sagen? Am Freitag hat man eines von ihnen zu Grabe getragen.

Sie werden immer weniger, und Ernst Trost, Urgestein im besten Sinn, gehörte dazu. Nein, nicht ein weiterer Nachruf für den Kollegen soll es sein, der drei Monate jünger war als ich. Aber irgendwie hatte es uns doch alle beeindruckt, als wir lasen, was er in einer seiner letzten „Krone“-Kolumnen bedauernd geschrieben hatte: dass der Kreis der alten Journalisten, jener, die, wie ich hinzufügen darf, Wien nach dem Zweiten Weltkrieg zur Medienstadt gemacht haben, immer kleiner wird. Fritz Molden gehörte dazu und Otto Schulmeister, Hans Dichand, Karl Löbl und Franz Kreuzer und natürlich Gerd Bacher. Es ist eine Urgesteins-Mineraliensammlung, in der Tat. Einer der besten und klügsten war Kollege Trost.

Wir haben unseren Beruf, den spannendsten, den wir uns vorstellen konnten, nahezu gleichzeitig begonnen – er in der Steiermark, ich in Wien. Wir haben eine Zeit lang am Fleischmarkt, den man durchaus berechtigt die Wiener Fleet Street nannte, im Zeitungshaus gearbeitet, das nacheinander einer ganzen Reihe von Tagesblättern Quartier bot: „Kronen Zeitung“, „Bildtelegraph“, „Express“, „Presse“, „Wochenpresse“ – habe ich etwas vergessen? Immer wieder saßen wir beisammen im Stambul, jenem Espresso vis-à-vis, das uns alle nach alter Journalistensitte nach dem Blattschluss zum kollegialen Gespräch vereinte.


Die Zeiten ändern sich und wir in ihnen. Vor dem Krieg gab es zeitweilig 22 Tagesblätter. Geblieben sind sieben: „Krone“, „Presse“, „Kurier“, „Standard“, „Wiener Zeitung“, „Österreich“ und das Gratisblatt „Heute“. Immer noch zu viele, sagen manche. In US-Städten etwa gibt es kaum zwei.

Und auch das Wesen der Wiener Blätter hat sich geändert. Die boshaft diffamierende Bezeichnung „digitale Demenz“ mag falsch sein, nennt aber das Kind beim Namen, das den eingeschworenen Printanhängern wie eine Missgeburt erscheint. Konnte man die Gedanken Trosts in der „Krone“ nachvollziehen, wenn sie nicht im Blatt erschienen wären, sondern auf Facebook oder Twitter? Ernst Trost hat, wie manche sagen, die „Krone“ geadelt, hat das Blatt gleichsam vom Boulevard zur Ringstraße gemacht. Das stimmt nicht. Die „Krone“ ist journalistische Begegnungszone –und eminent politisch dazu.

Trost ist Zeit seines Lebens fast nur Außenpolitiker geblieben. In einer Zeit, da das Jobhopping auch im Journalismus gang und gäbe ist, hat er es verstanden, nicht nur viele Jahre in der gleichen Zeitung zu schreiben, sondern sich auch nicht jener Floskeln zu bedienen, die andere Printprodukte mitunter zu einem Einheitsbrei werden lassen. Er hat auch dem Begriff „unabhängig“ seine eigene Note verliehen. Unabhängig kann und darf auch Meinungsjournalismus sein, sofern er sich als solcher deklariert oder deutlich erkennbar ist. Der insgeheime, verstohlene ist anfechtbar, auch wenn er sich linksliberal rosarot verbirgt.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2015)

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