Für Amnesty ist vieles wichtig. Vergesst die Prostituierten nicht!

Von der Empörung der Selbstgerechten und der Feststellung, dass Traiskirchen nicht in Nordkorea liegt.

Heinz Patzelt, der rührige, umtriebige Generalsekretär von Amnesty International Österreich, dürfte sich wieder beruhigt haben. Vor Kurzem war er noch aufgebracht, „unsagbar zornig“ sogar, wie diese Zeitung schrieb. In seinem Bericht über die Vorstellung des Traiskirchen-Reports erteilte Christian Ultsch dem Wütenden eine verdiente Rüge. Von Barbarei zu sprechen, sei eine peinliche Übertreibung, hieß es in der „Presse“: „Traiskirchen liegt nicht in Nordkorea!“ Alles nur schlechtzumachen und die Bemühungen für Flüchtlinge in Österreich nicht anzuerkennen, sei wenig hilfreich.

Es sei gestattet, den Beschreibungen der Eindrücke, die AI nach einem Kurzbesuch von Patzelt und Konsorten im Flüchtlingserstaufnahmelager formuliert hat, eine andere Kritik in dieser Zeitung anzufügen: „Auf Maß und Ziel sollten vielleicht auch die Empörten ein Auge haben, die besonders überzeugt von ihrer eigenen moralischen Überlegenheit sind. So gefragt Engagement für eine menschenwürdige Unterbringung von Asylwerbern ist: Ein selbstgerechter Anklageton bringt das Land in der Flüchtlingsfrage auch nicht weiter.“

Die Erklärung (nicht Entschuldigung) ist nur ein Teil der Tatbestandsaufnahme, die seit Wochen der Öffentlichkeit präsentiert wird, zuletzt von den erwähnten AI-Spähern. Sie ist nach der Visite von einer jungen Dame mit Modefrisur vor den Fernsehkameras vom Blatt gelesen worden und hat entsprechendes Aufsehen erregt. Der wütende Generalsekretär sprach sogar von „Barbarei“, eine Äußerung, die gleichfalls zu Recht kritisiert wurde. Wobei festzustellen ist, dass AI in der Tat derzeit mehr zu beobachten hat als die meisten anderen NGOs. Nicht Kos, Lampedusa und Calais sind da gemeint, Brennpunkte der neuen Völkerwanderung. Aber Amnesty kümmert sich auch um andere Belange, die ihr wichtig sind. Oder scheinen.


Um die Legalisierung der Prostitution etwa. Die Flüchtlingsproblematik hat die AI-Versuche einer „Entkriminalisierung aller Aspekte der einvernehmlichen Sexarbeit“ in den Hintergrund des öffentlichen Interesses gerückt. Das ist falsch, weil es, wie der internationale AI-Generalsekretär Shetty erklärte, darum geht, „Sexarbeitern“ vollen Rechtsschutz vor Ausbeutung, Menschenhandel und Gewalt zuzusichern. Dies hat das Gremium dieser wichtigen NGO jüngst in Dublin kundgemacht.

Allein, heute sind die Anstrengungen von AI, den Österreichern die Situation in Traiskirchen nahezubringen, zum Glück wichtiger als das, was noch vor Kurzem aktuell war. Die Menschenrechte sind vielfältig, und AI hat sich eben zur Aufgabe gestellt, alle Themen zu behandeln. Und sei es der Straßenstrich.

Deswegen ist es Herrn Patzelt durchaus nachzusehen, dass ihm die immense Aufgabe, mit der Flüchtlingsproblematik ins Reine zu kommen, derzeit bedeutender ist als die Legalisierung der Sexarbeit. Dass der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Michael Brand, „einigermaßen entsetzt“ ist über solche Bemühungen von AI, soll da nicht stören. Heute ist die Massenwanderung, von der alle Medien voll sind, ungeachtet des Paracelsus-Ausspruchs, dass die Dosis das Gift mache, zu Recht eine Frage, die uns alle rührt und berührt. Vielleicht wird die Flüchtlingsfrage, weil so oft und so ausführlich dargeboten, irgendwann langweilig, dann kann sich Herr Patzelt vielleicht, um seine moralische Überlegenheit zu zeigen, einem anderen Thema zuwenden. Etwa wieder den käuflichen Damen.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2015)

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