Hitler, Maria Theresia und die Wiener Mehrheit links der Mitte

Geschichtsunterricht neu oder: Was Dreizehnjährige nicht nur vor Wahlen an Skurrilem lernen sollten.

Die Zeiten ändern sich, vor Wahlen zumal. Aber auch die Begriffe? Neue Wörter sind plötzlich wieder aktuell. Man spricht von Handschlagqualität, von Augenhöhe, von Kompetenz, von Nachhaltigkeit und strapaziert vor allem auch das Wort „mutmaßlich“.

Neuerlich ist der Begriff „Demut“ in Gebrauch gekommen. Ausgerechnet Michael Häupl hat ihn vor Jahren verwendet, als er seinen ersten großen Wiener Wahlsieg eingefahren hatte. Er werde das Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, „in Demut“ gebrauchen, sagte er sinngemäß. Von der oberösterreichischen FPÖ hat man am Abend des 27. September das Gleiche, sogar dasselbe, gehört. Demut ist wohlfeil in diesen Tagen.

Am kommenden Sonntag wird in Wien wieder Gelegenheit sein, sie zu üben – oder jedenfalls zu behaupten, das, was das Wahlergebnis gebracht hat, demütig akzeptieren zu wollen. Nicht von H.-C. Strache ist da die Rede, er hat mit „humilitas“ nichts am Hut. Aber vor allem die Leute um Häupl fühlen sich gefordert.

Sie können sich freilich nichts vorwerfen. Sie haben getan, was die heimische Sozialdemokratie tun konnte, um auch Wahlniederlagen (und daran hat es in den vergangenen Jahren keinen Mangel gegeben) zu verkraften. Das Rote Wien sollte unter keinen Umständen blau werden. Einige fürchten sich bereits, wenn man den Medien glauben darf. Andreas Mailath-Pokorny etwa, der Wiener Kulturstadtrat, philosophierte in einem „Profil“-Interview bereits über seine politische Zukunft, sollte er abgewählt werden. Und da ist er ganz offen: „Die Frage ist momentan nur noch, ob es in dieser Stadt eine Mehrheit links der Mitte gibt. Diese ist in Gefahr.“ So offen hat in letzter Zeit keiner der Wiener SP-Führungsriege seine Sorgen kundgemacht.


Aber keine Angst! Mailath-Pokornys Amts- und Gesinnungsgenosse auf Bundesebene, Kulturminister Josef Ostermayer, hat, wie wir wissen, vorgesorgt. Sein Haus der Geschichte ruht, wenngleich erst im Endstadium der Planung, ideologisch bei Oliver Rathkolb in guten Händen. Nicht so bei jenen, die sich mit den Lehrplänen des Geschichtsunterrichts befassen, im besonderem mit jenen für die AHS-Unterstufe. Chronologie als Säule des Geschichtsunterrichts wie bisher? Nichts da. Bundesweit ist, wie unlängst in der „Furche“ zu lesen war, ein neuer Lehrplan „Geschichte und Sozialkunde/politische Bildung“ in Erprobung. Die Chronologie der Geschichte wird durch thematische Module ersetzt – die Palette reicht von „Migration“ über „Ausbeutung und Menschenrechte“ bis zu „Diversity“.

Die Dreizehnjährigen werden sich freuen. Sie sollen, wie es der neue Lehrplan will, unter anderem „politische Umbrüche, die als Revolutionen bezeichnet werden, vergleichen und bewerten“. Sie sollen auch die „Veränderungen der Machtverhältnisse in der Neuzeit im gesellschaftlichen Kontext herausarbeiten“. Ein paar Jahre später dürfen sie dann wählen gehen.

Die Schulbuchverleger sind außer sich, zum Unterschied von den Geschichtsdidaktikern. Einer von ihnen, der an der Pädagogischen Hochschule Salzburg amtiert, findet es richtig, dass etwa Maria Theresia im neuen Lehrplan nicht mehr erwähnt werde: „Auch Hitler kommt ja nicht namentlich vor.“

Der Vergleich macht Sie sicher. Der neue Geschichtsunterricht lässt erahnen, was vom Haus der Geschichte zu erwarten ist. Jedenfalls keine Spur von Demut.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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