Haben die Medien die Angst vor dem "blauen Mann" geschürt?

Dass Michael Häupl überzeugender als prophezeit siegen konnte, hat er dem Journalismus zu verdanken.

Haben jene recht, die behaupten, dass die Medien vor den Wiener Wahlen eine wichtige Rolle gespielt haben? Mehr noch: dass sie aus Gründen, die noch zu erforschen wären, ein Kopf-an-Kopf-Rennen Häupl-Strache prophezeit haben? Und haben demgemäß jene recht, die sagen, dass ein etwaiger knapper Ausgang, egal in welche Richtung, in voller Absicht von Michael Häupl und Genossen prognostiziert worden sei, um Angst zu machen? Angst vor Strache. Vor wem denn!

Sie ist eine Bürgerliche von echtem Schrot und Korn, die ältere, elegante Dame, nennen wir sie Michaela, die Zeit ihres Lebens ÖVP gewählt hatte, kam da was wollte. Diesmal hat sie sich für die SPÖ entschieden. Warum? Weil sie, wie sie sagte, keinen Blauen als Bürgermeister haben wolle. Eine Leihstimme also. Die Rechnung der Sozialdemokraten ist aufgegangen. Wien bleibt rot.

Die Medien. Wirklich nur die Medien? Wir leben, hört man immer wieder, in einer Periode der Entpolitisierung des Volkes. Hoi polloi, wie die alten Griechen das Fußvolk der Demokratie genannt hatten. Die vielen also haben bei den Wahlgängen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte immer häufiger Absenz geübt. Diesmal nicht. Vor der Tür meines Wahllokals habe ich mich in die Warteschlange eingereiht. Ich tat es gern.

Ich vernahm etwa, was die Menschen über Paul Tesarek von Radio Wien sagten, der am Montag vor der Wahl die „Elefantenrunde“ moderiert hatte. Hat er wirklich einen so linksbündigen Eindruck hinterlassen? Ich hatte es nicht festgestellt. Oder, anders gesagt: Was der ORF an Nachrichten und Kommentaren – immerhin ein unabhängiger staatlicher Rundfunk – nicht nur zu Wahlzeiten von sich gibt, ist – Hand aufs Herz – nicht immer unabhängig.


Man nennt sie häufig die „medialen Gutmenschen“, die Kolleginnen und Kollegen vom Küniglberg und der Argentinierstraße. Sie könnten auch „NGORF“ heißen. Eine Nichtregierungs-Organisation mit Regierungseinflüssen, mit besonderer Berücksichtigung, ja, eben des Gutmenschentums. Dieses wird auf den verschiedensten Ebenen gespielt, nicht nur in der Information. Ist das „Café Sonntag“ wirklich, was manche behaupten, eine Freunderlwirtschaft? Müssen die „Gedanken zum Tag“ wie in der Vorwoche ausgerechnet mit prononciert deutscher Aussprache formuliert werden? Aber lassen wir das. Jedem nach seinem Geschmack.

Und doch fallen einem da Untersuchungen ein, die angeblich aufgezeigt haben, dass in Deutschland die meisten in den Medien und vor allem auch bei Radio und Fernsehen Tätigen weltanschaulich (sofern es solches noch gibt) links angesiedelt seien. Nein, bei uns nicht! Auch wenn immer wieder als Wahlkommentator der angesehene Universitätsprofessor Anton Pelinka zu Wort kommt, nicht gerade ein Konservativer – ich schätze seinen Bruder, den ehemaligen Chef der „Arbeiterzeitung“, sehr.

Es kann auch nur ein Zufall gewesen sein, dass bei der erwähnten „Elefantenrunde“ H.-C. Strache den schwächsten Beifall des Publikums erhalten hat. Dabei ist die Auswahl der Zuhörer doch rein zufällig erfolgt. Ob es opportun ist, bei solchen und ähnlichen Sendungen Publikum einzuladen, ist fraglich. Aber Herr Wrabetz wird schon wissen, was er tut.

Ehrlich: Die Zeit nach der Wahl ist auch die Zeit für politisches Grübeln. Vielleicht ist da Zeit, auch über den ORF nachzudenken. Es zahlt sich aus.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.