Wie lange noch Christkindlmarkt? Fragen in der "stillsten Zeit"

Noch zehn Mal schlafen bis zum Heiligen Abend. Aber gibt es heute wirklich noch die Christnacht?

Noch zehn Tage bis zum Heiligen Abend. Heiliger Abend? Gemach, gemach. Wo sind die Zeiten, da wir noch gezählt haben, wie oft wir noch schlafen mussten. Noch zehn Mal? Wir waren aufgeregt. Was wird das Christkind bringen? Das Christkind. Nicht der Weihnachtsmann. Nicht der Knecht Ruprecht. Ganz einfach das Christkind. Das war, als die Säkularisierung noch nicht so weit fortgeschritten war wie heute.

Säkularisierung. Das Ende des christlichen Abendlandes. Vor Jahren hat es noch die Heilige Nacht gegeben. Christnacht haben wir sie genannt. Wo sind die Zeiten? Die stillste Zeit im Jahr ist zur lautesten geworden. Ist es gestattet, eine Richtigstellung anzubringen? Die Weihnachtszeit gibt es nicht mehr. Wir haben uns damit abzufinden, dass die erwähnte Säkularisierung in allen Aspekten durchgegriffen hat.

Vorläufig dürfen wir die Märkte, die nicht nur in Wien, sondern auch in anderen größeren Orten auf das Fest einstimmen, als Christkindlmärkte bezeichnen. Immerhin bereiten sie auf das vor, was das Christkind bringen soll. Allein, im Fernsehen werden immer häufiger die Schuhe, die am Vorweihnachtsabend bereitgestellt werden, mit Gaben gefüllt. Hat dies Knecht Ruprecht getan?

Ansammlungen sollten vermieden werden, hieß es nach den Terrorwarnungen. Die Weihnachtsmärkte haben darunter gelitten. Wäre es anders, wenn sie noch Christkindlmärkte hießen? Auch der größte Weihnachtsbaum des Jahres ist ohne die in früheren Jahren üblich gewesenen Zeremonien illuminiert worden. Weihnachtsbaum oder Christbaum? Tut nichts. Wir dürfen noch immer zum Weihnachtsfest ohne Scheu Christfest sagen.


Europa hat viel von den Amerikanern übernommen. Nicht nur in weltpolitischen Fragen. Nicht nur in der Dämonisierung Wladimir Putins, den man heute im Kampf gegen die IS-Mörderbande (sie einen Staat zu nennen, wäre total verfehlt) dringend braucht. Auch dort, wo es um US-Bräuche ging, die bei uns unbekannt waren, bis die Amerikanisierung Platz griff. Wer hat seinerzeit von Halloween gehört? Und um die Aktualität näher zu rücken: Father Christmas hat bei uns noch nicht, aber gelegentlich doch das Christkind überholt.

Ist die Säkularisierung eine Folge der Entchristlichung, oder ist diese eine Konsequenz des um sich greifenden Atheismus? Dass sich diese Frage aufdrängt, ist nicht mehr jahreszeitlich, sondern gerade heute politisch bedingt. In der „stillsten Zeit im Jahr“ nicht die Flüchtlingskrise zu erwähnen, wäre verfehlt. Ist es verwunderlich, dass sich sofort die Frage ergibt, ob jene recht haben, die behaupten, innerhalb des nächsten Jahrhunderts sei der Katholizismus in Europa zu einer dritt- oder viertklassigen Religion geworden?

Noch leben wir in einem Gebiet, das man hoffentlich zu Recht als christliches Abendland bezeichnen darf. Allein, der Morgen greift um sich. Muss das Christentum mit dem Abend verglichen werden, mit einer Dämmerung, die Dinge verspricht, die sie vielleicht nicht halten kann? Die Christkindlmärkte sind noch allenthalben spürbar. Noch hat die Entchristlichung nicht so Fuß gefasst, wie sie von jenen gefürchtet wird, die fälschlicherweise als Islamophobe bezeichnet werden. Fälschlicherweise: weil sie Sorge haben, dass die Christianophoben siegen könnten.

Zwischen Christbaum, Christkindlmarkt, Christkind? Noch sind die Kinder unterwegs. Wie lange noch?

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2015)

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