Wie die Hofburg mit der Grazer Amokfahrt zusammenhängt

Zwei Pfeiler der österreichischen Gerichtsbarkeit sind zu Zielen öffentlicher Kritik geworden.

Von meinem Jus-Doktorat – mein Gott, wo sind heute, in einer Zeit von Bachelors, jene Zeiten, da man sich als Werkstudent bemüht hat, nicht nur ein Journalist zu sein, sondern halbwegs auch auf einen Doktor hinzuarbeiten! – von diesem meinem Jus-Doktorat also sind mir einige wesentliche Fakten eines demokratischen Staatswesens in Erinnerung geblieben, die auch das Grundprinzip unseres Staates ausmachen. Dazu gehören Gesetzgebung, Justiz und Verwaltung. Solange die drei Faktoren mehr oder weniger in Ordnung sind, ist es auch die Republik – mehr oder weniger.

Ich bin (ebenfalls mehr oder weniger) mit Österreich zufrieden. Es funktioniert. An Gesetzgebung und Verwaltung ist im Großen und Ganzen nichts auszusetzen. Nur mit der Justiz scheint es neuerdings zu hapern. Es sind keine eklatanten Mängel, aber es gibt doch offenbar Anlass zur Kritik. Dass es einige Punkte sind, die nicht nur den Fachleuten Sorge bereiten, verursacht Kopfzerbrechen. Und dass diese Punkte keine unwesentlichen sind und noch dazu zufällig gleichzeitig auftreten, steigert ihre negative Wirkung.

Da musste etwa zum ersten Mal seit Langem (ist es überhaupt schon einmal der Fall gewesen?) der Verfassungsgerichtshof, eines der höchsten Gremien der Republik, in doppelter Hinsicht in Abwehrstellung gehen. Er hat sich gegen den Vorwurf zu verteidigen gehabt, die Wahl des Bundespräsidenten erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik für ungültig zu erklären und wiederholen zu lassen, mit all den Problemen, die dem Schritt gefolgt sind (der Vorwurf der Bananenrepublik war da nur einer von vielen).

Dass zudem gleichfalls jenseits aller Gepflogenheiten ein Mitglied des Gerichts diese Entscheidung nicht nur öffentlich verteidigte, sondern medial bekannt gab, für welchen der beiden Präsidentschaftskandidaten er gestimmt habe, half mit, den VfGH und mit ihm einen Grundpfeiler der heimischen Rechtsprechung in ein schiefes Licht zu rücken.

Gleichzeitig aber, und das ist das besonders Besorgniserregende an der Entwicklung, hat ein anderer dieser Grundpfeiler wieder einmal Sprünge bekommen: die Laiengerichtsbarkeit. Dass ihre österreichische Form seit Langem diskussionswürdig war, ist nichts Neues. Die Mitwirkung des Volkes an der Rechtssprechung ist zwar vom Gesetz gefordert, aber wie sie sich zu gestalten hat, wird immer wieder debattiert. Der vor Kurzem in Graz zu Ende gegangene Mordprozess gegen den sogenannten Amokfahrer hat die ganze Problematik der Frage, ob und wie Laien in der Justiz mitwirken sollen, mit unvermittelter Gewalt wieder aufbrechen lassen.

Dies trifft vor allem auf die Geschworenengerichte zu. Die Laien sind bei ihrer Urteilsberatung – schuldig oder nicht schuldig? – völlig allein gelassen, das Gerichtsurteil, das nachher verkündet wird, fußt allein „auf dem Wahrspruch der Geschworenen“. Die Laienrichter haben offenbar allein – in Graz ist es sogar so bezeichnet worden – ihr Bauchgefühl zur Hilfe. Anlass genug, diese österreichische Art der Geschworenengerichtsbarkeit zu kritisieren und, wie dies zuletzt vor allem in Graz mit allem Nachdruck geschah, vehement abzulehnen.

Es ist anzunehmen, dass jedenfalls dieses eine Fundament der heimischen Justiz verschoben wird. Das andere – jenes, auf dem der Verfassungsgerichtshof ruht – braucht man nicht zu ändern. Es ist eines der Republik. Wir sind zufrieden.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.
E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2016)

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